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Snow White And the Huntsman VS. Spieglein, Spieglein

Originaltitel: Snow White and the Huntsman; Mirror, Mirror
Regie: Rupert Sanders; Tarsem Singh
Drehbuch: Evan Daugherty / John Lee Hancock / Hossein Amini; Melissa Wallack / Jason Keller
Score: James Newton Howard; Alan Menken
Darsteller: Kirsten Steward, Charlize Theron, Chris Hemsworth; Lily Collins, Julia Roberts, Armie Hammer

Wertung für Snow White and the Huntsman: 79 %
Wertung für Spieglein, Spieglein: 65 %

- Lasst die Spiele beginnen! – 

An dieser Stelle die Handlung der Filme nochmal zusammenzufassen, wäre wohl wirklich unnötig. Die Grimm´schen Hausmärchen sind ein unsprüngliches, deutsches Kulturgut, dem sich Hollywood immer wieder gern angenommen hat. Vor allem Schneewittchen ist bereits mehrmals verfilmt worden, für Kinder und Erwachsene. Da das Ganze jedoch bereits ein paar Jahre her ist, schien es den Herren Produzenten mal wieder angebracht, das Märchenbuch aufzuklappen und ein bisschen zu entstauben. Was in diesem Kino-Jahr jedoch ungewöhnlich ist, ist die Tatsache, dass gleich zwei große Studios um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen. Wer also macht das Rennen?

- Punkt Eins: Schneewittchen –
In beiden Verfilmungen erlebt die Figur des Schneewittchens eine kleine Generalüberholung. Klar, dass man nicht, wie Disney einst, ein singendes Hausmädchen in den Wald schicken kann, um es mit Tieren reden und von einem Prinzen retten zu lassen. Beide Filme etablieren Schneewittchen deshalb als leidgeprüftes, reinherziges, aber tapferes Mädchen, das sich zu wehren weiß. Dennoch sind die Darstellungen von Lily Collins und Kirsten Stuart sehr unterschiedlich. Collins lehnt sich in ihrem Spiel doch noch stärker an Disney an, als es einer Frau im 21. Jahrhundert gut tut. Sie lernt zwar bei den Zwergen, zu kämpfen, ist aber ansonsten eher lieblich und gutherzig, eher frech als kämpferisch. Damit passt sie gut in Tarsem Singhs Inszenierung, schafft es aber nicht ganz, ihrer Figur echtes Leben einzuhauchen. Kirsten Stuart dagegen muss erst einmal gegen ihr „Bella-Image“ anspielen, was sie aber souverän meistert. Ihr Charakter macht eine echte – wenn auch vorgezeichnete – Entwicklung vom unsicheren Mädchen zur starken Anführerin durch, die sie vollkommen nachvollziehbar darstellt. Ihr gelingt dabei der Balance-Akt zwischen unschuldigem Mädchen und wehrhafter junger Frau. Auf diese Weise wirkt ihr Schneewittchen im Vergleich zu Lily Collins realistischer und komplexer. Der Punkt geht also an: Snow White.

- Punkt Zwei: Die böse Königin –
Man muss es an dieser Stelle sofort sagen: Julia Roberts ist als böse Königin ein echter Schauwert und derart amüsant und selbstironisch, dass man fast zu dem Schluss kommt, sie stehle Schneewittchen die Show. Das Drehbuch liefert ihr immer wieder köstliche Bemerkungen über Schneewittchens Schönheit („Ihre Haut hat noch nie die Sonne gesehen, klar ist die gut.“), die ihre Darstellung direkt mit dem heutigen Schönheits- und Jugendwahn verbinden. Fast scheint sie eine alternde Hollywood-Diva zu spielen (die sie ja auch ist), die krampfhaft versucht, sich gegen ein aufsteigendes junges Starlet durchzusetzen. Das Scherenschnitthafte der gesamten Inszenierung wird durch Roberts in ein Plus verwandelt, weil sie eben nicht versucht, eine möglichst komplexe Figur darzustellen, sondern in ihrer Boshaftigkeit und ihrem Neid völlig aufgeht. Anders verhält es sich bei Charlize Theron. Ihre Königin ist wesentlich düsterer und komplexer. Ihr Handeln und ihr Schönheitswahn werden zumindest in Rückblenden und durch sie selbst erklärt, dennoch ist sie ihren Zaubermächten natürlich längst verfallen. Damit zieht sie definitiv keine Lacher auf ihre Seite, passt aber auch besser zur düsteren Inszenierung. Zudem hat man ihre Figur um einen Bruder erweitert, was noch mal mehr Handlungsspielraum eröffnet. Hier stehen also eine amüsante gegen eine wahnhafte Königin. Die Wahl fällt nicht schwer, denn obwohl Theron ihre Rolle solide ausfüllt, ist es doch Julia Roberts, die nicht nur sich selbst auf die Schippe nimmt, sondern ihre Figur auch neue Seiten entlocken konnte. Der Punkt geht an: Spieglein, Spieglein.

- Punkt Drei: Die Handlung –
Natürlich kennt jeder das Märchen Schneewittchen in- und auswendig. Daher war es klar, dass die beiden neuen Inszenierungen der Story einen neuen Dreh geben mussten. Schon bei Spieglein, Spieglein lautet der Untertitel „Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen“. Die Zwerge werden erst zu Räubern, dann mit Schneewittchen zusammen sowas wie Robin Hoods getreue Gesellen. Schneewittchen rettet sich selbst und beißt nicht in den Apfel und bekommt am Ende auch ihren Daddy zurück, den die Königin in ein Biest verwandelt hatte. Soweit, so neu. Dennoch ist es gerade diese Inszenierung, die besonders nah am Genre des Märchens bleibt, was jedoch nicht an der Handlung, sondern an der Ausführung liegt. Snow White hingegen enthält beinahe alle Elemente des Märchens (toter Vater, Zwerge im Wald, vergifteter Apfel, Jäger), lässt sie aber so einfließen, dass ein neuer Blick auf die Handlung entsteht. So gibt es bei Snow White keinen Prinzen, sondern einen raufenden und trinkenden Jägersmann, sowie einen edlen Herzogssohn, zwischen denen sich Snow White entscheiden muss. Der vergiftete Apfel ist nur ein weiterer Versuch der Königin, Snow White auszuschalten. Und es ist auch nicht ihre Schönheit allein, die sie für die Königin so gefährlich macht: Snow White ist hier die Einzige, die die Königin besiegen kann. Am Ende führt sie eine Armee aus Aufständischen gegen die Königin ins Feld, was auch wesentlich epischer daherkommt als bei Spieglein, Spieglein. Der Punkt geht als an: Snow White.

- Punkt Vier: Die Zwerge –
Es ist immer schwierig, märchenhafte Elemente in einen Film zu integrieren, der auch Erwachsene ansprechen soll. Besonders, wenn es sich dabei um Kleinwüchsige handelt, die im Wald hausen. Tarsem Singh orientiert sich bei deren Darstellung klar an der Disney-Vorlage. Die Zwerge sind zwar keine Bergleute, sondern Diebe, die die Königin bestehlen, aber sie haben lustige Namen, sagen lustige Dinge und sehen lustig aus. Da hilft es auch nicht, ihnen Zieharmonika-Stiefel zu geben, mit denen sie sich größer machen, um ihre Feinde zu täuschen. Zu niedlich wirken die kleinen Männer. Bei Sanders hingegen spielen die Zwerge eine kleinere Rolle und tauchen erst ab der Hälfte des Films auf. Ein kluger Schachzug, denn so liegt das Hauptaugenmerk auf Show White und dem Huntsman, wie der Titel ja auch schon sagt. Die Zwerge dagegen sind nur ein Teil eines märchenhaften Universums, ebenso wie Waldgötter, Feen und Trolle. Auch sie sind Diebe, leben jedoch obdachlos im Wald und sehnen sich zu den Tagen zurück, an denen sie edle Bergleute waren. Man könnte jetzt murmeln, dass man ähnliches schon bei Tolkien gelesen hat, muss aber dazu sagen, dass die „Zwerge“ an sich Fabelwesen sind, die es im Zusammenhang mit Bergbau schon wesentlich länger gibt. In jedem Fall wirken die Zwerge in Snow White and the Huntsman wesentlich ernster und komplexer. Zwar haben auch sie die wenigen Lacher des Films auf ihrer Seite, doch wird damit sparsam umgegangen. Der Punkt geht also an: Snow White.

- Punkt Fünf: Inszenierung und Effekte –
Beide Filme liefern Effekte auf dem Stand ihrer Zeit. Das Rad wird hier nicht gerade neu erfunden, aber sie sind solide. Da es sich um Märchen handelt, kommt der Computer hier natürlich häufiger zum Einsatz als in einem normalen Film. Während Spieglein, Spieglein klar in die Märchenrichtung geht, schlägt Snow White and the Huntsman die Fantasy-Epos-Richtung ein. Dementsprechend ist der Look des zweiten Films wesentlich düsterer und in den Darstellungen realistischer. Die Kostüme der Figuren sind eher mittelalterlich als fantasievoll, die Zauber der Königin dunkel und brutal. Der dunkle, verzauberte Wald besteht aus einer Vielzahl von Pflanzen, teils fantastisch, teils real und das Schloss der Königin gleicht einer wehrhaften Burg. Anders bei Tarsem Singh: Wer seine Werke kennt (The Cell, The Fall), der ahnt, dass hier überbordende Fantasie und Liebe zum Detail am Werk sind. Die Kostüme der Figuren sind barock und überladen, das Schloss verspielt. Alles unterwirft sich einem sehr bestimmten ästhetischen Anspruch, der es leider nötig macht, den gesamten Film im Studio zu drehen und die Außenwelt per CGI zu generieren. Das stört an vielen Stellen. So verbringt Schneewittchen die meiste Zeit im verschneiten Wald in einem ärmellosen Leibchen, der Prinz sogar zeitweise in Unterhosen. Dennoch friert hier keiner. Sanders konnte zumindest Teile des Waldes und des Strandes aus der Realität übernehmen, was einfach angenehm fürs Auge ist. Die Ansprüche der beiden Regisseure waren eben komplett verschieden: Spieglein, Spieglein ist ein augenzwinkerndes, eindeutiges Märchen. Das wurde liebevoll inszeniert, ist aber an vielen Stellen so derartig kitschig, dass es einfach kein erwachsenes Publikum ansprechen kann. Snow White and the Huntsman macht aus Schneewittchen einen Fantasy-Epos, der sich dementsprechend lieber an den Herrn der Ringe anlehnt und wesentlich blutiger und düsterer von Statten geht. Somit erreicht Sanders viel eher ein erwachsenes – und auch männliches – Publikum, bleibt aber nahe genug am Märchen, um auch Jüngere mit einzubeziehen. Der Punkt geht also an: Snow White.

- Punkt Sechs: Fazit –
Die Schlacht um die bessere Schneewittchen-Interpretation gewinnt eindeutig Snow White and the Huntsman. Man sollte sich jedoch Julia Roberts als böse Königin nicht entgehen lassen! Hier ist es ähnlich wie bei The Dark Knight: Während der Joker alle Blicke auf sich zieht, verblasst der Eindruck vom ansonsten mittelmäßigen Film ein wenig. Wer sich auch gern mal Bollywood-Filme und Musicals anschaut, dem wird auch der Rest von Spieglein, Spieglein gefallen. Ansonsten sollte man die Zähne zusammenbeißen und über die allzu knuffige Inszenierung hinwegsehen. Snow White and the Huntsman bietet für diejenigen einen sehenswerten Film, die dem Genre Fantasy nicht abgeneigt sind. Denn innerhalb dieses Genres erfüllt der Film viele Erwartungen, sodass man ihm kleine Übertreibungen (wie ein weißes Pferd, das auf die fliehende Snow White wartet, oder Snow White selbst, die das Vater Unser betet) verzeiht. Meilensteine der Filmgeschichte sind beide Inszenierungen nicht geworden, unterhaltsam sind sie dennoch und – was fast noch wichtiger ist – konnten Schneewittchen in die Gegenwart transportieren.

Herzallerliebste Grüße,
eure J.

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