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Shame

Originaltitel: Shame
Regie: Steve McQueen
Drehbuch: Steve McQueen, Abi Morgan
Score: Harry Escott
Darsteller: Michael Fassbender, Carey Mulligan

Wertung: 82 %

- Realistisch sezierender Blick auf die ersten Gehversuche eines emotionalen Krüppels -

Brandon scheint ein gutes Leben zu führen: Er sieht gut aus, er hat eine elegante Wohnung, einen festen Job und geht abends gern aus. Doch der Schein trügt: Brandons Leben wird von seiner Sexbesessenheit bestimmt. Egal ob Sex mit Prostituierten, fremden Frauen in Bars oder im Internet, Pornos oder schnelle Selbstbefriedigung auf dem Herrenklo – ohne Sex kann Brandon nicht leben. In sein kaltes, einsames Leben bricht schließlich seine labile Schwester Sissy, die bei ihm eine Bleibe sucht. Durch ihre Anwesenheit beginnt Brandon, sein Leben zu hinterfragen.

Shame ist kein Gute-Laune-Film, soviel ist klar. Score und Darstellern ist es zu verdanken, dass er auch kein Porno geworden ist, obwohl es an nackten Körpern in Interaktion durchaus nicht mangelt. Was den Film so sympathisch macht, ist seine realistische Darstellungsweise. Wenn Brandon nachts in einer Gasse Sex mit einer jungen Frau hatte, die er in einer Bar kennen gelernt hat, sieht er danach zerzaust aus. Und zwar nicht das „stylische“ Zerzaust. Es scheint beinahe, als wolle Steve McQueen den ganzen Hollywood-Produzenten entgegenschreien: Seht her! Meine Figuren pissen, sie sind nackt beim Sex und sie sehen scheiße aus, wenn sie eine schlaflose Nacht hinter sich haben! Denn all das fängt er mit nahezu voyeristischer Kamera ein. Dabei hilft es ungemein, dass Michael Fassbender seine Rolle als Brandon derart vollständig verkörpert, dass man keine Sekunde wegschauen kann. Carey Mulligan als seine Schwester Sissy wirkt dabei erstaunlich und willkommen lebendig. Ihre etwas abgewrackte und labile Figur gibt ihr die Möglichkeit, endlich auch mal neue Facetten an ihr zu zeigen, die fern von „Alles, was wir geben mussten“ oder „Wallstreet: Money never sleeps“ liegen.

Fest steht, dass der Film emotional berührt. Man wird Zeuge eines (eigentlich zweier) selbstzerstörerischer Menschen, die ihren eigenen Schwächen zu erliegen scheinen. Und obwohl Brandon versucht, dagegen anzukämpfen, bleibt es fraglich, ob er es schafft. Denn obschon der Film eine wegweisende Episode im Leben seiner Hauptfigur zeigt, wirkt er doch ausschnitthaft. Die Kamera verfolgt derart minuziös Brandons Leben und Handeln, dass man sich stellenweise fragt, ob bestimmte Szenen eine dramaturgische Bedeutung haben, die über den angestrebten Realismus hinaus geht. So entstehen besonders im ersten Teil des Films einige kleinere Längen. Hier waren die künstlerischen Ambitionen meines Erachtens nach ein wenig zu groß – denn ein Film sollte auch unterhalten können. Ähnlich wie „Sleeping Beauty“ behandelt Shame ein Tabu-Thema, Sex, allerdings fehlt es streckenweise an Substanz und Handlung. Dann wird McQueen zu dokumentarisch, zu ätherisch, zu episch.

Nichts desto trotz entfaltet Shame eine große emotionale Wirkung, die keinen kalt lassen dürfte. Gerade weil man gezwungen wird, Brandons innere Kälte und Machtlosigkeit bis ins Detail nachzuvollziehen, kann man nicht anders und leidet mit ihm. Diese Wirkung verdankt der Film auch seinem grandiosen Hauptdarsteller. Fassbender zeigt sichtlich keine Scheu, sein Inneres und Äußeres zu entblößen. Er verschmilzt geradezu mit seiner Figur, es scheint unmöglich, Schauspieler und Rolle voneinander zu trennen. Anders als bei anderen Schauspielern, die vor allem durch Method-Acting zu dieser Leistung gelangen, traue ich Fassbender durchaus zu, diese intensive Darstellung durch seine Fähigkeiten als Schauspieler zustande zu bringen. Für mich ganz klar einer der besten Schauspieler dieser Jahre!

Fazit: Wer sich auf Shame einlässt, wird in einen Sog aus Sucht und Suchen gezogen, der allerdings gerade zu Beginn etwas lang wirken kann. Sehenswert ist der Film allerdings schon allein aufgrund der Schauspieler, allen voran Michael Fassbender.

Ähnliche Filme: Sleeping Beauty, Michael, The Girlfriend Experience

In diesem Sinne herzallerliebste Grüße,
eure J.

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