Interstellar
Originaltitel: Interstellar
Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Jonathan und Christopher
Nolan
Score: Hans Zimmer
Darsteller: Matthew McConaughey, Anne
Hathaway, Jessica Chastain, Michael Caine
Wertung: 99 %
- Bildgewaltiger Wissenschafts-Epos,
zugleich aber auch intime Charakterstudie -
Die zweite Hälfte des 21.
Jahrhunderts: Cooper war einst ein Raumpilot, jetzt lebt er, wie fast
alle anderen auch, als Farmer und pflanzt Mais an. Wetterumschwünge
und Parasiten bedrohen die Menschheit, deren einziges Ziel es ist,
genügend Nahrung zu produzieren, um zu überleben. Für Raumfahrt,
Ingenieurskunst und Wissenschaft hat Niemand mehr etwas übrig, bis
Cooper auf die Überbleibsel der ehemaligen NASA stößt und eine
völlig neue Chance erhält: mit anderen Wissenschaftlern durch ein
Wurmloch zu einem weit entfernten Planetensystem zu fliegen, um dort
bewohnbare Planeten zu erkunden...
Wann war ein Science-Fiction das letzte
Mal so derart berührend, so aufwühlend, so realistisch und
greifbar? Die Pressestimmen sprechen immer wieder von 2001: Odysee im
Weltraum (vielleicht auch wegen der sprechenden Roboter, die Cooper
und das übrige Team begleiten?), aber der Vergleich hinkt im
eigentlichen Sinne: Obwohl zu einem Großteil in einer fremden
Galaxie angesiedelt, ist Nolans neuester Streich angenehm down to
earth, wie der Amerikaner so gern sagt, und damit weit entfernt von
Kubricks Raumfahrt hinein in die Abgründe und Unzulänglichkeiten
des Menschen.
Was also macht Interstellar so griffig,
so realistisch und gut? Wie bei jedem guten Film greifen auch hier
die einzelnen Elemente wie Musik, visuelle Effekte, Drehbuch und
Darsteller ineinander wie perfekt justierte Zahnräder.
So wirkte der theoretische Physiker Kip
Thorne an dem Drehbuch von Nolans Bruder Jonathan als ausführender
Produzent mit und ordnete es wissenschaftlich ein. Es ist
interessant, wie viele Artikel verschiedenster Zeitungen und
Zeitschriften Nolans Szenario durchexerzieren und dabei gern betonen,
wie abwegig und wissenschaftlich unwahrscheinlich es ist. Tatsächlich
aber gibt es bestimmte, Wurmlöcher und schwarze Löcher betreffende
Grundannahmen, innerhalb derer sämtliche Handlungsstränge sehr wohl
funktionieren würden. Selbst wenn der Ottonormalverbraucher nicht
allen von Coopers und Dr. Brands Ausführungen über Zeit, Raum und
Gravitation folgen kann, erhält er so doch automatisch einen
Eindruck von Wahrscheinlichkeit. Und das ist es, was Nolans Blick in
die Zukunft so realistisch macht.
Unterstützt wird dieser Eindruck von
der ruhigen Kameraarbeit Hoyte van Hoytemas und den wahnsinnig
plastischen Effekten. Coopers Reise durch das Wurmloch und die
fremden Planeten wirken nicht deshalb so beeindruckend, weil sie uns
mit einem besonders fantasievollen Stil unterhalten sollen, sondern
weil sie so möglich erscheinen. Keine blauhäutigen Aliens, keine
hoch technologischen Zivilisationen, sondern die schiere Weite des
Alls mit all seiner Einsamkeit und Schönheit. Raumschiffe, Gleiter
und Roboter sind mit bloßem Auge einfach nicht mehr als
computergeneriert zu erkennen, man glaubt fast, Modelle zu sehen (was
tatsächlich nicht der Fall ist). Hinzu kommen die wissenschaftlich
fundierten Bilder von schwarzen Löchern, Galaxien und Planeten, die
ganz ohne stilistische Überhöhung auskommen sowie die
atemberaubenden Fahrten durch Wurmlöcher und Ereignishorizonte.
Wäre das aber alles, was der Film uns
transportieren will, hätte Nolan auch eine Dokumentation drehen
können. Stattdessen verwebt er die Frage nach den kommenden
Möglichkeiten zum Einen mit den ganz großen Fragen der Menschheit,
zum Andern mit einem mitreißend erzählten Einzelschicksal, nämlich
Coopers. Was passiert mit einem Familienvater, der seine Kinder auf
der Erde zurücklassen muss, ohne zu wissen, ob und wann er sie je
wiedersehen wird? Die Sequenz, in der Cooper Videonachrichten von der
Erde erhält und sich der schieren räumlichen und zeitlichen Distanz
zu seiner Familie bewusst wird, gehört sicherlich zu einer der
emotionalsten des ganzen Films. Es geht eben nicht nur darum, die
Menschheit zu retten (oder sich zu fragen, was das eigentlich
bedeutet) – für Cooper geht es darum, seine Tochter Murphy
wiederzusehen. Ein cleverer Kniff der Nolan-Brüder, der den
Zuschauer nicht nur enger an die Geschichte bindet, sondern sie auch
um einige Facetten erweitert.
Damit diese Bindung aber funktionieren
kann, sind Schauspieler von Nöten, die es auch schaffen, den
Zuschauer für sich zu interessieren. Und genau dies gelingt im
Grunde jedem Darsteller in Interstellar, allen voran Matthew
McConaughey, der ja spätestens seit Dallas Buyers Club mit seinem
Eye-Candy-Image abgeschlossen und sich zu einem ernstzunehmenden
Charakterdarsteller entwickelt hat.
Ein enormes I-Tüpfelchen, sozusagen
das letzte Zahnrad in Nolans perfekt funktionierender Maschine, ist
der Score von Hans Zimmer (nicht umsonst heißt es: Sometimes
everyone of us failes. Hans Zimmer just chose not to). Wer bei seinen
gewaltigen Crescendi von Orgel, Bläsern und Streichern keine
Gänsehaut bekommt, der hat schlicht ein Herz aus Stein, denn Zimmer
schafft es, nicht nur die schiere Weite des Alls musikalisch
umzusetzen und einzufangen, sondern sie auch, ganz dem Drehbuch
folgend, mit den Emotionen der Hauptfiguren zu verknüpfen. Und so
entsteht der vielleicht berührendste und komplexeste Score der
letzten Jahre.
Fazit: Es ist Anfang Dezember, daher
kann ich beruhigt behaupten, Interstellar sei der beste Film des
Jahres 2014 (und sicherlich auch einer der besten Filme Nolans, auf
einer Höhe mit Memento anzusiedeln). Ob nun wissenschaftlich
interessiert oder nicht, Interstellar bietet jedem Zuschauer eine
überwältigende Reise: in den Weltraum, in die eigene Seele, in das
Herz der Menschheit. Einziges Manko: Nolans überaus amerikanische
Sicht auf die Dinge.
In diesem Sinne,
eure J.
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