Whiplash
Originaltitel: Whiplash
Regie: Damien Chazelle
Drehbuch: Damien Chazelle
Score: Justin Hurwitz
Darsteller: Miles Teller, J.K. Simmons
Wertung: 97 %
- Intensives, aber auch kurzweiliges
Psychogramm zweier perfektionistischer Jazz-Musiker -
Andrew ist gerade in seinem ersten Jahr
auf der renommierten Shaffer-Konservatorium, als der
Schlagzeug-Student vom Leiter der Studio-Band, Terence Fletcher,
entdeckt wird. Fletcher tyrannisiert seine Studenten auf psychische
wie auch physische Art, um sie so zu Höchstleistungen anzutreiben –
auch Andrew leidet unter dessen Ausbrüchen. Mit der Zeit stellt sich
die Frage, wie viel der Junge bereit ist, für seine Musik zu geben
und wie viel Fletcher ihm nehmen wird, um sein Ziel – musikalische
Perfektion – zu erreichen...
Mit Whiplash gelang dem unbekannten
Damien Chazelle ein echter Überraschungshit bei den Oscars 2015.
J.K. Simmons erhielt völlig zurecht den Goldjungen für den besten
Nebendarsteller, zudem wurde der Film für seinen Ton und Schnitt
ausgezeichnet. Chazelle hat es geschafft, ein eindringliches
Psycho-Duell zu portraitieren, ohne dabei angestrengt zu wirken.
Kameraführung und Farben erinnern
dabei stark an The Social Network, aber mit den glatten, dunklen
Oberflächen auch an einen Konzertsaal. Tatsächlich spielen sich die
stärksten und beeindruckendsten Szenen des Films meist in dem
kleinen Probenraum der Band ab. Wenn Andrew und die übrigen Musiker
auf der Bühne stehen, sieht man nie das Publikum, sondern immer nur
die Band mit ihrem cholerischen Dirigenten. So wie Andrews Welt, so
dreht sich auch Whiplash alleinig um Musik und Perfektion. Zu Beginn
gibt es noch einige Szenen, in denen Andrew mit seinem Vater ins Kino
geht oder sich mit einer jungen Frau trifft, nach Fletchers Auftreten
aber immer weniger, bis wir nur noch Andrew, das Schlagzeug und
sprichwörtlich Blut, Schweiß und Tränen sehen. Besonders die
Zeitlupen-Aufnahmen der vibrierenden Becken oder des Eiswassers, in
das Andrew seine blutenden Hände taucht, vermitteln ein ganz
greifbares, physisches Gefühl für die Musik und die verzweifelte,
völlige Hingabe, die die Figuren ihrer Passion widmen.
Das alles wäre natürlich hinfällig,
wenn die Musik selbst nicht stimmig in die Erzählstruktur
eingearbeitet wäre. Und vielleicht bedarf es auch eines gewissen
Grades an klassischem Musikverständnis, um zu verstehen, wie sich
Menschen etwas so derart sklavisch hingeben können. Denn ohne das
Wissen um die Komplexität von Jazz-Arrangements klingen die
einzelnen Stücke schlicht beschwingt und beinahe kontrastierend
positiv, während die gesamte Band nichts als Konzentration und Angst
vor dem übermächtigen Kritiker Fletcher ausstrahlt. Nichts desto
trotz stellt gerade das Schlagzeug einen ganz entscheidenden
Handlungsträger des Films dar. In den manischen Versuchen, den
schwierigen Beat korrekt spielen zu können, hören wir Andrews
innere Getriebenheit und Anspannung. Wenn Andrew blutet, sind die
Trommeln bald ebenfalls blutverschmiert. Wenn er schwitzt, glänzen
die Becken wie mit Wasser besprüht. Wenn er wütend ist, knallt es
buchstäblich auch auf der Bühne. Fletcher übernimmt den verbalen
Part, verletzt mit seinen Worten. Andrew kommuniziert dagegen über
sein Instrument.
Der junge Miles Teller leistet dabei
wirklich Großartiges. Nicht nur sein Schlagzeugspiel wirkt absolut
authentisch und überzeugend (den entsprechenden Unterricht hatte er
natürlich im Vorfeld), sondern auch sämtliche Emotionen. Es gelingt
ihm, das Innenleben seiner Figur plastisch und offen darzustellen,
sodass eine entsprechende Empathie sofort aufgebaut werden kann, ohne
Andrew zur schlichten Identifikationsfigur verkommen zu lassen. J.K.
Simmons schlägt dagegen ein wie eine Bombe. Er ist der
personifizierte Peitschenhieb, der seine Studenten immer wieder an
den Rande der Verzweilfung und darüber hinaus bringt. Die Perfidität
und Unbarmherzigkeit, die er ausstrahlt, ist dabei für den Film
ebenso elementar wie sie für den Zuschauer ein morbides Vergnügen
ist. Die Kontrolle, die Fletcher über seine Musiker hat, steht dabei
in völligem Gegensatz zu den unkontrollierten Wutausbrüchen, die
wie Hagel über sie niedergehen.
Letztlich ist die Frage, die Whiplash
stellt, ob Perfektion jedes Mittel rechtfertigt. Hatte der plötzlich
verstorbene Schüler von Fletcher wirklich einen Autounfall? Kann
eine Atmosphäre reiner Konkurrenz und reinen Drucks wirklich gute
Musiker hervorbringen? Chazelle fällt hier, ohne das Ende verraten
zu wollen, ein angenehm uneindeutiges Urteil. Das bietet genügend
Gesprächsstoff für anschließende Diskussionen. Denn zweifellos
bedarf gerade professionelle (klassische) Musik und die entsprechende
Ausbildung ein hohes Maß an Disziplin und Hingabe. Musiker in
Orchestern oder Big Bands üben sich Zeit ihres Lebens mehrere
Stunden am Tag in der Beherrschung ihres Instruments, hinzu kommen
Proben und Konzerte. Oft bleibt das Privatleben dabei auf der
Strecke. Whiplash zeigt diese Problematik besonders extrem und
vielleicht auch ein wenig plakativ (wir sehen Andrew zum Beispiel
beinahe nie Essen oder Schlafen, und wenn doch, dann außerhalb des
Konservatoriums), da die Figur des Terence Fletcher einfach ein
extremer Entwurf ist. Allerdings würde es der Handlung definitiv an
grundlegenden Konflikten und auch an Spannung fehlen, würde Andrew
von einem gewöhnlichen Lehrer unterrichtet.
Denn das ist ja der große Vorteil des
Films: seine Spannung. Selbst ohne entsprechendes musisches
Verständnis oder Interesse für Jazz handelt es sich bei Whiplash
immer noch um einen spannenden, beinahe hypnotischen Film, bei dem
die Frage, was als nächstes passiert, mindestens genauso zentral ist
wie die tiefer liegende Frage nach Perfektion. Und gerade, wenn die
dramaturgische Klimax erreicht scheint, setzt Chazelle noch einen
drauf.
Fazit: Whiplash ist zwar definitiv kein
Feel-Good-Movie, hält aber eine angenehme Balance aus künstlerischem
Anspruch und Spannung/Unterhaltung. Sehens- und hörenswert ist dabei
nicht nur der talentierte Hauptdarsteller Miles Teller sondern
definitiv auch J.K. Simmons als cholerisch-perfektionistischer
Bandleader – nicht nur für Musikliebhaber.
In diesem Sinne,
eure J.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen