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Perfect Sense

Originaltitel: Perfect Sense
Regie: David Mackenzie
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson
Score: Max Richter
Darsteller: Ewan McGregor, Eva Green

Wertung: 99 %

- Emotional aufwühlende Apokalypse und grandiose Liebesgeschichte zugleich -

Michael arbeitet in einem hochklassigen Restaurant als Chefkoch und hangelt sich von bedeutungsloser Affäre zu bedeutungsloser Affäre. Susan ist Epidemiologin und wohnt gegenüber des Restaurants. Zunächst nicht an einander interessiert, müssen beide schnell einer geheimnisvollen Seuche begegnen, bei der den Menschen der Geruchssinn schwindet, nachdem sie einen emotionalen Zusammenbruch hatten. Beide erkennen, dass die gegenseitige Liebe, die sie einander schenken können, das Einzige ist, was sie retten kann. Doch dann schwinden den Menschen überall auf der Welt weitere Sinne.

Überwältigend. Anders kann man Perfect Sense wohl nicht beschreiben. Hier war ein ganz großer Geist am Werk, der den Zuschauer atemlos zurücklässt. Nicht, weil diese Apokalypse so nah scheint und die Umwelt zerstört. Sondern, weil wir sie durch die Augen der beiden Hauptfiguren erfahren. Trotz des Alltags, der ihnen wie Sand durch die Finger rinnt, versuchen die Beiden, sich einander zu öffnen. Und wie immer, wenn zwei Menschen sich einander öffnen, machen sie sich verwundbar.

Die eindringliche Wirkung des Films entsteht durch mehrere Faktoren: Da sind zum Einen die fein und realistisch gezeichneten Hauptfiguren, die niemals kitschig oder klischeehaft wirken. Zum Anderen dort die hochklassigen Schauspieler, die diese Figuren gekonnt darstellen. Aber da ist auch die bildhafte, genaue Inszenierung der Seuche, die immer den Blick von unten zeigt: Was mit den Menschen passiert, das steht hier im Mittelpunkt. Und genau das macht es auch so schwer, sich dem Film zu entziehen. Ruhige, wunderschöne Bilder der zwei Liebenden wechseln sich ab mit drastischen, exzessiven Darstellungen. Bevor den Menschen der Geschmackssinn schwindet, überkommt sie eine rasende Sucht nach Völlerei. Susan, die gerade in einem Parkhaus steht und nichts Essbares dabei hat, beginnt, Blumensträuße und Lippenstifte aus der Handtasche einer Passantin zu verschlingen. Michael hingegen hat in der Küche seines Restaurants alles da. Einer seiner Kollegen trinkt sogar Olivenöl aus einem Zehn-Liter-Kanister. Es sind vor allem diese Bilder, die sich ins Gedächtnis des Zuschauers fressen. Die Rücksichtslosigkeit und Vollkommenheit der Empfindungen der Menschen kennt keine Grenzen.

Um einen Eindruck von Globalität zu erwecken, werden vor allem in den Sequenzen, in denen die Menschen ein bestimmtes Gefühl überkommt, Szenen gezeigt, die von verschiedenen Kontinenten stammen. Afrikanische Stämme, asiatische Wissenschaftler, Europäer, Amerikaner… So scheint es, als habe die Seuche tatsächlich die ganze Welt befallen. Bald versinkt alles im Chaos, obwohl die Menschen immer wieder versuchen, sich ihre heiß geliebte Normalität zurück zu erlangen. Doch dieser Film ist keine Kritik am Zeitgeist. Im Gegenteil: Er ist eine Hymne an alles Menschliche und vor allem an die Liebe. Die Menschen, die sich ihrem Schicksal ergeben, haben aufgegeben. Die Menschen, die versuchen, sich anzupassen, kämpfen weiter. So geht Michael dazu über, nach dem Geschmacksverlust haptisch interessante Speisen zu kreieren, die besonders knusprig, heiß, kalt oder weich sind. Sein Kollege hingegen vermutet, dass das Restaurant bald nur noch Fett und Mehl verkaufen wird.

Man kann den Film natürlich metaphorisch lesen: Wenn wir unserer Sinne beraubt werden, sind wir besinnungslos. Dann rettet uns nur die Zuneigung, die wir einander schenken. Was bleibt übrig vom Menschlichen, wenn man ihm seine Sinne nimmt? Nur die Liebe? Der Wunsch, zu überleben? Wie kann man überleben, wenn man nichts hört, riecht, schmeckt, sieht? Interessant ist nämlich, dass nicht mal Susan mit ihrem Arbeitskollegen im Labor eine Ursache für die Krankheit finden kann. Sie wird nicht durch einen Virus übertragen und dennoch ist sie überall. Sie ist unerklärlich und allgegenwärtig. Obwohl die Reaktionen der Menschen auf die Krankheit sehr realistisch inszeniert wurden, bleibt die Seuche ein Phänomen, fast mit göttlicher Willkür vergleichbar. Ohne sie zu verstehen ist man ihr gnadenlos ausgeliefert. Hier wird der Film beinahe schon zu bildhaft. Zumindest der Ansatz einer medizinischen Erklärung hätte den Sehgewohnheiten eines modernen Zuschauers sicher besser entsprochen.

Fazit: Ein großartiges, verstörendes Werk, das sich über Genre-Grenzen hinwegsetzt, um eine ebenso umfassende wie intime Geschichte zu erzählen. Sicher nichts für Zwischendurch, dafür bleibt der Film aber lange im Gedächtnis und regt auf mühelose Weise zum Nachdenken an.

Herzallerliebste Grüße,
eure J.

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