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Die Tribute von Panem

Originaltitel: The Hunger Games
Regie: Gary Ross
Drehbuch: Gary Ross, Suzanne Collins, Billy Ray
Score: T-Bone Burnett, James Newton Howard
Darsteller: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Stanley Tucci, Elisabeth Banks, Woody Harrelson, Donald Sutherland, Lenny Kravitz

Wertung: 89 %

- Erschütternde dystopische Jugendbuch-Verfilmung, die den Zuschauer keine Minute durchatmen lässt -

In einer nicht allzu weit entfernten Zukunft teilt sich Nordamerika in 12 Distrikte, die alle mehr oder weniger für das reiche und fortschrittliche Kapitol ausgebeutet werden. Um die Bevölkerung an einen von der Regierung niedergeschlagenen Aufstand zu erinnern, werden jedes Jahr die sogenannten „Hungerspiele“ veranstaltet, bei der jeder Distrikt einen Jungen und ein Mädchen auslost, um an modernen Gladiatorenkämpfen teilzunehmen, bei denen nur ein einziger überleben darf. Im ärmlichen Distrikt 12 meldet sich die 16-jährige Katniss freiwillig, um an Stelle ihrer ausgelosten kleinen Schwester teilzunehmen. Nun muss sie gegen Gleichaltrige und auch Jüngere auf Leben und Tod kämpfen, während sämtliche Distrikte das Ganze live als Fernsehshow mitverfolgen.

Selten hat man eine derart brutale, ergreifende Jugendbuchverfilmung gesehen. Basis ist der erste Teil der (Überraschung!) Panem-Trilogie von Suzanne Collins, die eine dystopische Zukunftsvision zeichnet. Obwohl auch in Filmen wie Der König von Narnia oder Herr der Ringe nicht mit epischen Kämpfen, Schwerthieben und Toten gegeizt wird, unterscheidet sich Die Tribute von Panem doch grundlegend von solchen Werken. Zunächst fehlt es dem Film natürlich an der kuschelig-zauberhaften Komponente. Hier zanken sich keine Zwerge und Elfen freundschaftlich, hier können keine Löwen sprechen. Hier werden große Teile der Bevölkerung zum Vorteil Einzelner ausgebeutet und durch Gewalt und Unterdrückung in Schach gehalten. Das Thema wird in letzter Zeit erstaunlich häufig angesprochen, zuletzt in dem Zukunfts-Thriller In Time. Zudem folgt das Sterben in diesem Film nicht den gängigen Hollywood-Regeln: Für gewöhnlich sterben hauptsächlich negativ dargestellte Nebenfiguren, später dann ein oder zwei liebgewonnene Hauptfiguren, deren Tod groß und tragisch inszeniert wird und am Ende dann der ganz böse Oberboss. Nicht so in Die Tribute von Panem. Der Film entfaltet seinen spannungsaufbauenden Schrecken dadurch, dass Kinder von zwölf bis achtzehn Jahren dazu gezwungen werden, sich gegenseitig zu töten und dies auch tun – teilweise sogar mit Freude.

Es sollte hinzugefügt werden, dass der Film ab 12 Jahren freigegeben ist. Ich persönlich würde aber Niemanden raten, das eigene (Geschwister-)Kind mitzunehmen. Junge Menschen töten junge Menschen und das sieht man recht deutlich. Da werden Kindern die Kehlen aufgeschlitzt oder die Genicke gebrochen, sie werden von Wurfspeeren und Pfeilen durchbohrt und von Wespen zu Tode gestochen. Also nichts für schwache Nerven. Überhaupt gibt es in der Handlung wenig zu Lachen: Katniss´ Distrikt ist arm und trostlos, sie muss im Wald illegal jagen gehen, damit ihre Familie nicht verhungert. Der grelle Glanz des Kapitols ist oberflächlich und schrill und beruht nur auf der Ausbeutung der übrigen Distrikte.

Angenehmerweise hat sich Gary Ross entschieden, diese Umstände angemessen einzufangen. Im ersten Teil des Films verzichtet er auf unnötige Rührseligkeit bei der Darstellung von Katniss´ Heimat, die Kamera wird beinahe dokumentarisch eingesetzt und der Score bleibt diskret im Hintergrund oder ganz weg. Wenn Katniss und ihr Leidensgenosse Peeta dann später ins Kapitol gebracht werden, um der Öffentlichkeit vorgestellt zu werden, setzt dann nötige Epik ein. Die Effekte sind auf dem Stand der Zeit und lassen eindrucksvoll das dekadente Kapitol erstehen. Gleichzeitig schaffen es die beiden Hauptdarsteller Jennifer Lawrence und Josh Hutcherson, durch ihr intensives Spiel den Zuschauer niemals vergessen zu lassen, dass sie dem Tod geweiht sind. Das Ensemble erweitert sich ab diesem Punkt um gern gesehene Gesichter, die ihre Rollen durchweg überzeugend wiedergeben: Wes Bentley, den man noch als verschüchterten Jungen aus American Beauty kennt, mimt hier das aalglatte Spielleiter-Ekel, der ehrwürdige Donald Sutherland gibt einen bösartigen Dumbledore (er spielt den Präsidenten) und Lenny Kravitz gibt angenehm zurückhaltend sein Schauspieldebut in der Rolle des Kostümbildners. Woody Harrelson spielt, wen er eigentlich immer spielt: einen abgewrackten, aber auch coolen Ex-Helden, der durch Katniss und Peeta seinen edlen Kern wiederentdeckt. Kurz: Die Zuschauer sind vom pompösen Kapitol und seinen exzentrischen Bewohnern ebenso überwältigt wie die Hauptfiguren. Spätestens jetzt fühlt man jeden ihrer Schritte mit, was den Film eben so packend macht.

Sobald die Spiele beginnen, fließt das Blut dann literweise. Das Verhalten der Kinder und Jugendlichen wirkt dabei leider nicht zu jedem Zeitpunkt realistisch. Zumindest der Fakt, dass einige der gut ausgebildeten Teilnehmer sich zusammenrotten, um die anderen zu töten, stößt sauer auf. Den egoistisch und kämpferisch charakterisierten Figuren traut man eher zu, die „Kameraden“ im Schlaf zu erstechen, als zusammenzuarbeiten. Davon abgesehen wird aber vor allem der Überlebenskampf von Katniss und Peeta überzeugend dargestellt. Dass das Ende dann ein wenig holprig inszeniert wird (Ihr werdet sterben, nein doch nicht, oder doch, nein doch nicht), stört dabei weniger. Man ist noch zu sehr gefangen in der fremden Welt, in der kleine Mädchen sterben müssen und Aufstände brutal niedergeschlagen werden.

Der Film hätte von mir durchaus 100 % bekommen können. Wäre da nicht der Umstand, dass es sich um ein Jugendbuch handelt. Denn obwohl Die Tribute von Panem filmisch und dramaturgisch wirklich ansprechend und packend umgesetzt wurde, merkt man doch an vielen Stellen, dass es eben ein Jugendbuch ist, das hier erzählt wird. Die genaue Verortung der Handlung (nämlich die ehemaligen USA) ist nur möglich, wenn man sich über das Buch selbst informiert, im Film ist davon nicht die Rede. Auch die Entwicklungen, die dem geschilderten Zustand vorausgehen und ihn erklären, fehlen beinahe vollständig. Diese „So ist es eben“-Situation dürfte vor allem ältere Zuschauer stören, die es aus anderen dystopischen Zukunftsvisionen gewohnt sind, eine logische Erklärung für den Ist-Zustand zu erhalten. Denn so fehlt auch eine chronologische Einordnung. Die Technik scheint jedoch so weit fortgeschritten, dass es möglich ist, aus dem Nichts per Mausklick riesige Hunde erstehen zu lassen, die auf die Spiele-Teilnehmer losgehen. Da fragt man sich schon, wie das möglich sein soll. Auch hier keine Erklärungen. Dann kommt natürlich hinzu, dass die Hauptfiguren alle Jugendliche sind. Der Film wirkt dadurch zum Einen eindringlicher, denn der Tod eines jungen Menschen ist meist beklagenswerter als der eines alten. Zum Anderen dürfte es älteren Zuschauern aber auch schwerer fallen, sich mit den Protagonisten zu identifizieren. Es bleibt auch unklar, warum gerade Kinder und Jugendliche ausgewählt werden, um zu kämpfen. Einzige logische Erklärung: Weil die Zielgruppe nun mal in dem Alter ist. Das ist schade, denn wenn ich mir Die Tribute von Panem zumindest mit einigen Erwachsenen vorstelle, dann glaube ich, dass der Film noch mehr Menschen erreichen könnte. Auch die übersichtliche Einteilung der Distrikte in verschiedene „Produktionsbereiche“ (Katniss´ Distrikt ist zum Beispiel für Bergbau zuständig) wirkt typisch Jugendbuch. Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass das wirklich funktionieren soll.

Fazit: Dennoch handelt es sich bei Die Tribute von Panem definitiv um ein richtungsweisendes Werk, das zwar sein Genre nicht völlig neu erfindet, seine Grenzen aber um einige Kilometer weiter ins „Erwachsenenfach“ verschiebt. Die ansprechend ernste Drehweise, die erschütternde Brutalität und die Eindringlichkeit der Darstellung machen den Film nicht nur für Jugendliche sehenswert. Kinder sollten auf jeden Fall nicht mit ins Kino genommen werden, da der Film eigentlich ab 16 bewertet werden müsste. Davon abgesehen bietet Die Tribute von Panem für verschiedene Geschmäcker und Vorlieben (Action, Sience-Fiction, Dystopie, Abenteuer, Thriller) einen atemlosen Abend, bei dem die Überlänge keine Sekunde negativ auffällt.

Ähnliche Filme: In Time

In diesem Sinne herzallerliebste Grüße,
eure J.

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