His Dark Materials

Regie: mehrere
Drehbuch: Jack Thorne
Score: Lorne Balfe
Darstellende: Dafne Keen, James McAvoy, Ruth Wilson, Lin-Manuel Miranda


Wertung: 85 %

– respektvolle, sehr erwachsene Adaption von Pullmans Meisterwerk –


In einer Welt, in der die Seelen der Menschen die Gestalt von Tieren annehmen, lebt die junge Lyra Belacqua am Jordan College und will eigentlich nur mit ihrem Freund Roger, dem Küchenjungen, Spaß haben. Doch sie wird Zeugin eines eigenartigen Mordversuchs und schon bald in ein Abenteuer verstrickt, in dem gepanzerte Bären, Hexen und fremde Welten eine wichtige Rolle spielen…

***** Achtung: Diese Kritik ist NICHT spoiler-frei! *****

2007 versuchte sich New Line Cinema bereits schon einmal daran, Phillip Pullmans fulminante Jugendbuch-Reihe zu verfilmen. Auch damals gab es ein angemessen großes Budget, eine überzeugende junge Darstellerin und einen hochkarätigen Cast für die beiden zentralen erwachsenen Hauptrollen. Daniel Craig verkörperte damals Lord Asriel, Nicole Kidman die undurchsichtige Mrs. Coulter. Überzeugen konnte das Werk jedoch aus anderen Gründen nicht: Wohl aus Angst vor Kontroversen verschwieg das Drehbuch von Der goldene Kompass die religionskritischen Elemente des Buches vollkommen. Dabei war dies natürlich genau das, was Pullmans Trilogie so spannend, so wertvoll und auch so vielschichtig machte: seine Kritik an Autoritäten, seien sie nun religiös oder weltlich begründet. Der Film floppte und die beiden weiteren Teile wurden nicht verfilmt.

Nun bringt die BBC (später eingekauft von HBO) eine erneute Adaption ins Rennen, diesmal als Serie. Wieder ist der Cast hochkarätig, wieder die weibliche Hauptrolle mit Dafne Keen (bekannt aus Logan) hervorragend besetzt. Und diesmal mit dem Versprechen, eine möglichst respektvolle und originalgetreue Verfilmung zu bieten. Hat es funktioniert? 

Nun, hauptsächlich ja. Und das liegt vor allem nicht an der Treue zum Original, sondern an den Freiheiten, die sich Drehbuchautor Jack Thorne genommen hat. So gibt er in der ersten Hälfte der Staffel der Figur der Mrs. Coulter wesentlich mehr Zeit und Raum, was Darstellerin Ruth Wilson gekonnt für sich zu nutzen weiß. Generell erscheinen die erwachsenen Figuren vielschichtiger und beinahe allzu verständnisvoll gezeichnet im Vergleich zur Buchvorlage. Im Falle von Mrs. Coulter nutzte man hier die Chance, eine höchst interessante weibliche Rolle zu vertiefen. Bei Lord Asriel scheint McAvoys emotionales, stets auch verletzliche Spiel teilweise etwas unangebracht, um den machtgierigen und egozentrischen Asriel zu verkörpern. Hier hätte ein bisschen mehr „die Horde“ und ein bisschen weniger „Professor X“ gut getan.

Ansonsten nutzt Thorne aber sämtliche Register, um die Serie auch für ein erwachsenes Publikum zu gestalten. So erfahren wir sehr früh von dem Fenster in „unsere“ Welt, ebenso von Grumman, seinem Leben darin und seinem Sohn Will, den die geneigte Leserschaft erst im zweiten Band der Trilogie kennen lernte. Das tut der Serie gut, denn so entsteht schnell das Gefühl, etwas zu sehen, das größer ist als seine Teile. Und das passt dann auch wieder sehr gut zur Buchreihe. Darüber hinaus erzählt His Dark Materials die Geschehnisse nicht vollständig aus Lyras Perspektive, sondern vielmehr mit ihr darin. Insbesondere in den ersten vier Folgen gibt die Serie den Gyptern mehr Raum, die auch gleich durchweg modernisiert wurden. Während Ma Costa in den Büchern eine Art Mutterersatz für Lyra wurde, bleibt sie in der Serie ein eigenständiger Charakter – was nicht nur konsistenter ist, sondern sie auch komplexer erscheinen lässt. Gleiches gilt für John Faa als Anführer der Gypter und Farder Coram als Ältesten. Die äußerst vielfältige und diverse Besetzung der Gypter verschmilzt dabei mit ihrem Kampf für das Gute, nämlich die Befreiung der Kinder aus Bolvangar: Während das Magisterium die weiße, herrschende Klasse repräsentiert, die sowohl Wissen als auch Macht vollkommen für sich beansprucht, leben die Gypter in selbstverständlicher Diversität und Freiheit. Das gerät gelegentlich etwas simpel, ändert jedoch nichts an der ermutigenden Aussage dahinter: Nur, wenn das Individuum frei ist und anerkannt als es selbst, kann die Gemeinschaft stark sein.

Ausstattungstechnisch hat man sich den Ambitionen entsprechend nicht lumpen lassen. Das CGI für die Daemonen ist solide und durch die Verwendung von Puppen während des Drehs starren die Darstellenden nicht einfach in die Luft, sondern interagieren auf angenehm realistische Weise mit ihnen. Auch tut es dem Ambiente insgesamt gut, dass die Daemonen nicht ständig im Mittelpunkt stehen und nicht zur reinen Effekthascherei verwendet werden, sondern immer handlungsbezogen gezeigt werden. Bei der Gestaltung von Lyras Welt durften sich einige kreative Köpfe austoben, konnten sie aber gleichzeitig auf interessante Weise modernisieren. Diese Version von Lyras Welt scheint der unseren nicht so weit entfernt, wie es noch 2007 oder auch in den Büchern schien. Um das Ganze erwachsener zu gestalten, gibt es außerdem einiges mehr an on screen Gewalt zu sehen. Insgesamt wirkt His Dark Materials etwas trostloser und düsterer, gerade weil die Welt nicht aus Lyras Augen gezeigt wird. Das nimmt gelegentlich ein wenig des Zaubers, den die Vorlage zu bieten hatte, passt jedoch zur Grundgeschichte.

Ein Meisterwerk also? Das bleibt noch abzuwarten. Während die zweite Staffel bereits gedreht wird und sich dann voraussichtlich dem zweiten Buch widmen wird, leidet die erste Staffel vor allem in der ersten Hälfte gelegentlich an unnötigen Längen. Dabei ist es allerdings für Fans der Buchreihe manchmal schwer einzuschätzen, ob diese dadurch entstehen, dass man nichts Neues sieht und den Ausgang der Geschichte kennt, oder sich hier echte erzählerische Schwächen zeigen. Potenzial hat insbesondere noch der Schnitt der Serie, denn der gerät in der ersten Staffel von His Dark Materials bisweilen recht holperig, was der Kontinuität der Erzählung insgesamt schadet.

Fazit: Im Vergleich zu Der goldene Kompass erweist sich His Dark Materials Staffel eins vor allem wegen der erzählerischen Freiheiten als angemessene, sehr erwachsene Adaption von Pullmans ersten Band. Der Cast ist hervorragend, die Figuren divers und vielschichtig und die Effekte passend. Handwerklich ist dennoch etwas Luft nach oben, sodass wir gespannt auf die zweite Staffel warten dürfen.

In diesem Sinne,

eure J.

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