Hellblade: Senua's Sacrifice

Director: Tameem Antoniades
Studio: Ninja Theory
Score: Andy LaPlegua, David Garcia Diaz
Darstellerin: Melina Jürgens


Wertung: 100 %

– kein flockiger Zeitvertreib, sondern eine immersive Reise in den Abgrund nordischer Mythologie und verletzter menschlicher Seele. Grandios! –


Das Dorf der Piktin Senua wird im 8. Jahrhundert von Wikingern angegriffen und zerstört. Senua, die aufgrund ihrer psychischen Störungen in die Wildnis geflüchtet war und erst nach dem Angriff zurückkehrt, muss entdecken, dass alle BewohnerInnen ihrer Heimat getötet wurden – allen voran ihr geliebter Dillion, den die Nordmänner ihren Göttern geopfert haben. Sie nimmt seinen Kopf an sich und reist allein nach Helheim, die Totenwelt der nordischen Mythologie, um mit dessen Herrscherin Hela um Dillions Seele zu verhandeln. Obwohl ganz auf sich gestellt, ist sie doch nie allein, denn in ihrem Kopf reden zahlreiche Stimmen auf sie ein, während ihre Wahrnehmung ihr immer wieder Streiche spielt. Wird sie die düsteren und gnadenlosen Bewohner Helheims besiegen und Dillions Seele befreien können oder ihren Psychosen und Ängsten erliegen?

Vor einigen Jahren habe ich das erste Mal eine Kritik zu einer Serie für diesen Blog geschrieben. Der Grund: Die erste Staffel True Detective hatte mich schlicht so umgehauen, dass ich meine Bewunderung für dessen Schöpfer einfach ausdrücken musste. Obwohl die Serie in der Rückschau vielleicht ein Minimum an Perfektion eingebüßt hat, war sie dennoch ein echtes Erlebnis und fasziniert mich bis heute mit ihrer reichen Mythologie und den komplexen Figuren. Nun sitze ich hier und schreibe mit meiner Kritik zu Hellblade: Senua’s Sacrifice das erste Mal über ein Videospiel. Auch Hellblade hat mich als Spielerlebnis völlig vom Hocker gerissen, vielleicht sogar meine Einstellung zu Videospielen generell von Grund auf verändert. 

Vorweg: Ich bin keine geübte Zockerin. Die Spiele, die ich in meinem Leben durchgespielt habe, kann man gut an einer Hand abzählen. Abenteuer wie Tomb Raider oder Assassin’s Creed: Odyssey habe ich erst in den letzten Jahren als munteren Zeitvertreib für die kalten Wintermonate entdeckt. Kampf- und Ballersequenzen, in denen man sich einfach nur durch seine Feinde durchwühlen muss, fand ich immer langweilig und anstrengend. Lieber entdeckte ich neue Welten und löste Rätsel. Daher war ich mir zunächst unsicher, ob Hellblade: Senua’s Sacrifice das Richtige für mich wäre. Allerdings ist Hellblade auch kein Videospiel wie jedes Andere.

Zum Einen ist Hellblade auf dem Papier ein technisch schlichtes Spiel, dessen Welt enorm begrenzt ist. Senua kann weder besonders gut klettern noch springen und die eindeutig vorgegebenen Pfade ihrer düsteren Umgebung nicht verlassen. Auch rennt sie nicht besonders schnell, sodass man so seine Zeit braucht, um von A nach B zu kommen. Apropos von A nach B: Die Spielzeit ist mit circa 10 angesetzten Spielstunden enorm kurz, für ein AAA-Independent Spiel aber in Ordnung. Zum Anderen gibt es keine Kapitelübersicht, keine Speicherstände, zu denen man zurückkehren kann, kein Menü, keine Einführung in Senua’s Kampftechniken. Sie lernt nichts dazu und sammelt bis auf eine wichtige Ausnahme keine neuen Waffen. Klingt langweilig? Ist es ganz und gar nicht! Denn Hellblade ist im Grunde kein Spiel, sondern eine immersiv erzählte Geschichte, der wir nicht zusehen wie bei einem Film, sondern an der wir die ganze Zeit teilnehmen. Die fehlenden Hinweise erhöhen nur die Intensität des Spielerlebnisses, denn wir müssen uns genau wie Senua in der feindlichen Umgebung von Helheim erst einmal zurecht finden. Das Ziel ist nicht, möglichst schicke Waffen zu sammeln oder möglichst hoch zu leveln, sondern Dillions Seele zu befreien, ohne dabei den eigenen Psychosen zu erliegen. Und die haben es in sich: Die EntwicklerInnen von Ninja Theory arbeiteten eng mit angesehenen PsychologInnen und ForscherInnen zusammen, um ein möglichst realistisches Bild posttraumatischer Belastungsstörungen und psychotischer Schübe darstellen zu können. Das gibt dem Spiel einen enormen Ernst. Hellblade ist nichts für Zwischendurch, nichts zum Runterkommen oder den gemütlichen Feierabend. Im Gegenteil: Wenn Senua durch völlige Dunkelheit tappt und wir das Monster, das uns verfolgt, nur hören, aber nicht sehen können – ebensowenig wie den Weg hinaus –, wird Hellblade zur echten Belastungsprobe. Denn jedes Mal, wenn Senua den Kampf gegen einen Feind verliert, wächst die schwarze Fäulnis in ihr. Erreicht die Fäulnis ihr Gesicht, stirbt Senua und Spielende müssen die Geschichte von vorn beginnen. Dieser Spielmodus intensiviert sämtliche Kämpfe vollkommen und macht die Bedrohung, der wir uns stellen, sehr viel realer. 

Trotzdem ist der Horror in dem Spiel kathartisch. Denn Senua ist keine unerschrockene Heldin wie Lara Croft oder Kassandra. Sie durchlebt ihren schlimmsten Albtraum, strauchelt und stürzt dabei immer wieder in den eigenen Abgrund. Ähnlich wie bei den zahlreichen optischen Illusionen, die wir als Rätsel lösen müssen, so sind wir uns auch bei ihren Gegnern nie ganz sicher, ob sie wirklich existieren oder nur ihrer Trauer um Dillion entspringen. Letztlich kämpft Senua nicht gegen Monster und Riesen, sondern sich selbst. Und damit kann man sich sehr gut identifizieren.

Weil das Spiel auf technischer Ebene recht konservativ daher kommt und einen überschaubaren Umfang hat, konnte Ninja Theory dafür umso mehr Gewicht auf die Optik legen. So höllenhaft Helheim auch sein mag, es ist einfach wunderschön anzuschauen. Oftmals bin ich durch dieses trostlose Ödland nur deshalb langsam gegangen, statt zu rennen, um mir meine Umgebung in Ruhe anschauen zu können. Außer als die Umgebung aus lauter verbrannten Riesenleichen bestand. Da nicht. Da bin ich echt schnell durchgerannt.

Als Letztes soll auch der Ton des Spiels nicht unkommentiert bleiben. Denn nicht ohne Grund empfehlen die SpielmacherInnen zu Beginn, Hellblade mit Kopfhörern zu spielen. Die zahlreichen Stimmen in Senua’s Kopf, das dunkle Grollen der nordischen Geister und der mitreißende Soundtrack verbinden sich zu einem schauderhaften Klangteppich, der nichts für schwache Nerven ist. So ruhig das Spiel sein kann, wenn Senua Rätsel lösen muss, so wild und konfus kann es auch klingen, wenn körperlose Stimmen sie auslachen, beschimpfen oder sie mit Erinnerungen plagen. Wer sich davon leicht beunruhigen lässt, sollte auf die Kopfhörer definitiv verzichten, denn bisweilen geht es in Hellblade wirklich beängstigend zu. (Letzter Hinweis: Das Spiel wird in Deutschland mit englischem Originalton und deutschen Untertiteln vertrieben. Gute Englisch-Kenntnisse sind da von Vorteil, denn oft sprechen mehrere Stimmen gleichzeitig, da ist das Lesen der Untertitel eher lästig und kann auch mal das Leben kosten.)

Fazit: Hellblade: Senua’s Sacrifice befindet sich an der Schnittstelle von Film und Videospiel und schafft es, eine packende, höchst berührende Geschichte zu erzählen, in die Spielende sofort und unumkehrbar hineingezogen werden. Die Gewalt und der Horror von Senua’s psychotischen Schüben sollten nicht unterschätzt werden und könnten zarte Gemüter durchaus verstören. Allerdings kämpft sich Senua auf so bewundernswerte Weise durch ihre innere Hölle, dass Hellblade letztendlich Trost und Hoffnung zu spenden vermag. Während Filme wie Es: Kapitel Eins uns zeigen, wie Menschen ihre Ängste überwinden, nehmen wir in Hellblade selbst daran Teil und stellen uns grausigsten Gefahren. Zusammen mit einem sparsamen, aber mitreißendem Score und genialen Soundeffekten ergibt Hellblade ein überragendes Serious Game, das sich für alle lohnt, die mit Videospielen sonst nicht viel anfangen können. Der zweite Teil ist bereits für Ende 2020 angekündigt. Hurra!

In diesem Sinne, 
eure J.


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