Parasite

Originaltitel: Gisaengchung
Regie: Bong Joon-ho
Drehbuch: Bong Joon-ho
Score: Jeong Jae-il
Darstellende: Song Kang-ho, Jo Yeo-joeng, Park Myung-hoon


Wertung: 100 %

- Ein makelloses Meisterwerk: witzig, beeindruckend, schockierend -


Die Familie Kim lebt, da alle arbeitslos sind, zusammengepfercht in einer schmuddeligen Souterrain-Wohnung in Korea. Als sich dem Sohn die Gelegenheit bietet, Nachhilfelehrer bei den reichen Parks zu werden, fälschen sie ihm nicht nur die benötigten Zeugnisse, sondern schaffen es nach und nach, alle für die Familie angestellt zu werden. Jedoch wissen die Parks nicht, dass es sich um Hochstapler handelt, die nun ihr wunderschönes Haus bevölkern. Und sie wissen auch nichts von der wahren Architektur des Hauses: Was verbirgt sich in dem Keller, den der Architekt dereinst anlegte?

Bong Joon-ho ist das gelungen, was bei vielen Filmen versucht und meistens nicht geschafft wird: eine vielschichtige Geschichte zu erzählen, die sowohl Komödie als auch Drama, Thriller als auch Horror ist. Joon-ho ist eine Gesellschaftskritik gelungen, über die wir lachen können – zumindest, bis uns das Lachen im Halse stecken bleibt. Anders als in seinem Vorgängerwerk Snowpiercer verzichtet er jedoch auf alles Plakative und holt seine Figuren zurück ins Hier und Jetzt. Das macht den Film wesentlich eindringlicher: Wir fiebern mit den Kims mit, wenn sie durch allerlei Tricks nach und nach die Bedienstetenstellen im Haus der Parks besetzen und schütteln die Köpfe bei all dem Witz und der Finesse. Denn die gesamte Familie Kim besteht aus greifbaren und glaubwürdigen Figuren, die nie schablonenhaft oder simpel wirken. Nehmen wir als Gegenbeispiel Joker: Dort konzentriert sich Regisseur Todd Phillips so derart auf seinen Hauptcharakter Arthur Fleck, dass alle anderen Figuren zu Schubladenware verkümmern. Bong Joon-ho zeigt: Auch ein ganzes Ensemble von vier ProtagonistInnen kann vielschichtig gezeichnet werden. 

Anders ist es mit den Parks, dem Spiegelbild der Kims: Sie sind allesamt gutgläubig, oberflächlich und auf so selbstverständliche Weise reich, dass ihnen jedes Gefühl für sozial schwächer Gestellte abhanden gekommen ist. Sie lassen sich von den Kims an der Nase herumführen, sind sich allerdings in jeder Sekunde ihrer wirtschaftlichen Macht über sie bewusst. So wird aus einer freundlichen Bitte, am Wochenende zu arbeiten – mit Wochenend-Zuschlag natürlich! – schnell ein Befehl, dem sich keiner der Kims entziehen kann. 

Der stille Star des Films ist aber sowieso das Haus der Parks. Diese steingewordenen Privilegien sind ein wahrer Mikrokosmos, in dem die Figuren immer wieder auf- und absteigen, verschwinden und auftauchen. Die Art, wie die Familie Kim immer wieder hinter Möbeln verschwinden und sich verstecken muss, wie sie lautlos durch die Schatten gleiten, um der Entdeckung ihres Schwindels zu entgehen, wird von Hong Kyung-pyos Kamera grandios eingefangen. Insbesondere, wenn die Familie Kim von dem Keller des Hauses erfährt, entfalten Kyung-pyos Bilder einen ungemeines, hypnotisches Grauen, das weder Jump Scares noch Monster braucht. 

Aber wer ist überhaupt das Monster in diesem Film? Ist es das, was im Keller der Parks lauert? Oder sind es die Parks selbst? Ganz so einfach macht Joon-ho es sich natürlich nicht. Das wahrhaft Monströse in der Geschichte ist das System, in dem beide Familien leben. Es ist ein Kapitalismus, der keine Menschlichkeit untereinander zulässt – denn auch die Kims verdrängen zunächst die vorigen Angestellten der Parks, was sich im Laufe der Handlung noch als schwerer Fehler erweisen wird. Es ist aber auch ein Kapitalismus, der vor allem über soziales Kapital und Habitus funktioniert – solange die Kims vorgeben, keine Familie zu sein, sondern erstklassig ausgebildete Arbeitskräfte, nehmen die Parks sie quasi ungesehen in ihr Haus auf. Alles funktioniert über persönliche Empfehlungen, die ein neu eingestelltes Kim-Mitglied jeweils gegenüber den Parks ausspricht. Dabei zählt nicht das wahre Interesse der Kims, möglichst alle Familienmitglieder mit Arbeit zu versorgen, sondern nur die scheinbare Eignung für die neue Stelle. 

Derartige Beobachtungen und Kommentare auf die Funktionsweise unserer Gesellschaft können schnell die Form eines erhobenen Zeigefingers bekommen. Noch in Snowpiercer wusste Joon-ho sich nicht so recht zu helfen und setzte seine sozialen Klassen in Zug-Klassen. In Parasite weiß er subtiler vorzugehen. Nachdem wir es uns in den komödiantischen Elementen der ersten Hälfte des Films gemütlich gemacht haben, schraubt Joon-ho nach und nach das Unbehagen in die Handlung hinein. Nicht nur für die Kims, auch für uns wird es immer ungemütlicher. Echte Katharsis kann es daher nicht geben. Dieser Zug wird immer weiterfahren. Es wird keinen Chris Evans geben, der die Maschinerie zerschlägt. Nur wir selbst könnten etwas dagegen tun, denn wir – das wird bald klar – sind die Parks, nicht die Kims.

Fazit: Ein packender Film, unterhaltsam und visuell berauschend von der ersten bis zur letzten Minute. Zarte Gemüter könnte jedoch die zweite Hälfte etwas verstören, denn da fehlt es weder an Düsternis noch Gewalt und Blut. Wen das nicht stört, den erwartet ein makelloses Film-Erlebnis voller hintergründigem Humor, mitreißendem Drama und unangenehmen Horror. Der beste Film des Jahres!

In diesem Sinne,

eure J.

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