Auslöschung

Originaltitel: Annihilation
Regie: Alex Garland
Drehbuch: Alex Garland
Score: Geoff Barrow, Ben Salisbury
DarstellerInnen: Natalie Portman, Jennifer Jason Leigh, Tessa Thompson, Oscar Isaac


Wertung: 95 %

– Markerschütternde, verstörende und absolut würdige Literaturverfilmung, die dem Sinn des Lebens nachgeht –


Eine Expedition aus fünf Wissenschaftlerinnen macht sich auf, die Area X zu ergründen – jenes Gebiet an der amerikanischen Küste, das vor einigen Jahren durch einen seltsamen Vorfall völlig verändert wurde. Da keine Expedition bislang je daraus zurückgekehrt ist, weiß man nur: Es verändert seine Umgebung grundlegend und es breitet sich aus. Jede der Frauen hat ihre eigenen Motive und Beweggründe, aber was sie schnell eint, ist das furchtbare Grauen, das ihnen dort begegnet…

Als ich das erste Mal davon las, dass Auslöschung, der erste der drei Southern-Reach-Bände von Jeff Vandermeer, verfilmt werden soll, war ich mehr als skeptisch. Denn die Bücher galten nicht umsonst als unverfilmbar. Vandermeers Sprache ist wie das reinste Hexenwerk, sie schlingt und windet sich in das Gehirn seiner Leserin und verdreht dabei die Gedanken und Fantasie. Das ist übrigens positiv gemeint, die Bücher sind grandiose Science Fiction auf allerhöchstem Niveau. Trotz eines gut verständlichen Wortschatzes schaffte Vandermeer es spielend, die eigene Vorstellungskraft auf die Probe zu stellen. Ein Tunnel war gleichzeitig ein Turm, Tiere hatten die Augen von Menschen… Es ist schwer, Auslöschung zu beschreiben, ähnlich wie Area X. Man muss es selbst gelesen bzw. gesehen haben. Wie also diese Sprache in Film umsetzen? Nun, wenn das Jemand schaffen kann, dann das heimliche Autoren-Wunderkind Alex Garland, das sich in den letzten zwanzig Jahren klammheimlich an Hollywoods Spitze gearbeitet hat. Und er hat es auch geschafft.

Die erfolgreiche Adaption des Stoffes gelingt Garland einerseits durch seine Personalunion als Autor und Regisseur. Hier schummeln keine drei, vier AutorInnen an einer Story herum, bis sie als solche kaum noch einen Sinn ergibt. Stattdessen darf Garland seine Version von Area X zu Papier, und von dem Papier auf die Leinwand bringen. Forderungen des Studios, der Geschichte durch Nachdrehs Komplexität und Kanten zu nehmen, scheiterten glücklicherweise. Stattdessen tat Garland das einzig Richtige: Er nahm ziemlich viele Änderungen vor. Ein Beispiel? In dem Buch haben die Figuren keine Namen, sondern nur Berufsbezeichnungen. Natalie Portmans Figur der Lena, aus deren Perspektive Buch und Film gezeigt werden, hieß schlicht „die Biologin.“ Das Fehlen von Namen war eine Strategie von Southern Reach (der Organisation, die mit der Erforschung des Gebiets betraut ist), um mit Area X umgehen zu können und funktionierte in dem Buch, das aus der Ich-Perspektive geschrieben war, hervorragend. In einem Film ist das natürlich schwieriger und wirkt in Dialogen schnell gekünstelt. Also änderte Garland das. Auch die Figur der Biologin selbst ist anders angelegt, hat andere Motivationen. Im Buch ist sie fast selbst eine Außerirdische, die sich stunden- und tagelang in der Betrachtung kleinster Biotope verlieren kann. Im Film wird ihre Beziehung zu ihrem Mann durch Rückblenden immer wieder glaubhaft in den Vordergrund gerückt und so zur emotionalen Motivation der Figur. Das macht sie für das Publikum glaubhaft und greifbar. Des Weiteren verzichtete Garland auf alles, was man nicht darstellen kann oder verschmolz verschiedene Schauplätze der Handlung zu einem (wie den Turm, der eigentlich ein Tunnel ist). Andere Dinge stellte er wiederum dar, erklärte sie jedoch kein bisschen. Das sind teilweise kleine Details, die nur bei aufmerksamen Zusehen auffallen und auf jeden Fall Gesprächsstoff liefern. Teilweise sind es aber auch gigantische Bilderfluten, die einem ganz schön das Gehirn wegballern. Dabei entwickeln Szenenbild und Spezialeffekte immer wieder eine unangenehme Eindringlichkeit, die noch Tage später verstören kann. Der Film ist deshalb kein Horror-Schocker geworden, auch wenn der Trailer das fälschlicherweise suggeriert. Er ist viel schlimmer und deshalb wirklich nichts für schwache Nerven. Ähnlich wie The Witch seinerzeit feinsten Grusel erzeugte, ohne je einen Jump Scare dafür zu benötigen, schafft Garland mit Auslöschung grauenhafte und zugleich wunderschöne Bilder, die uns bis ins Mark erschüttern. Weil er sie aber trotz aller Metaphysik so realistisch gestaltet, entfalten sie eine umso schrecklichere Wirkung.

Schade ist allerdings, dass die Effekte selbst gelegentlich an ihre technischen Grenzen stoßen, wenn es darum geht, Garlands Visionen umzusetzen. Die unwirkliche Tier- und Pflanzenwelt von Area X wirkt zwar stimmig und entspricht sehr gut der Buchvorlage, verliert aber durch den massiven Computereinsatz auch gelegentlich an Überzeugungskraft. Der eine oder andere Practical Effect hätte hier sicherlich gut getan. Bleibt nur zu hoffen, dass der Film dennoch in Würde altert.

Über alle Zweifel erhaben sind dagegen die schauspielerischen Leistungen, und zwar von jeder und jedem, der an dem Film mitgewirkt hat. Natalie Portman schien mir zu Beginn fast schon eine Fehlbesetzung, passt aber sehr gut zu der Art, wie Garland die Figur der Biologin angelegt hat. Ihr Ehemann, dargestellt von Oscar Isaac, hat ebenfalls ein paar grandiose und gleichsam verstörende Auftritte. Der heimliche Star des Films ist aber Jennifer Jason Leigh, die als Psychologin und Mitarbeiterin von Southern Reach die Mission anführt. Leigh spielt diese Figur, die im Buch noch um einiges zwielichtiger ist, derart undurchsichtig und spröde, dass es eine reine Freude ist. Ihre Beweggründe und Emotionen sind tief verborgen und dennoch beherrscht sie jede Szene, in der sie auftritt. Da die Figuren insgesamt sehr komplex und menschlich konzipiert sind, fällt es auch kaum weiter auf, dass es alles Frauen sind. Garland hält es deshalb auch nicht für nötig, das zu begründen, während im Buch erklärt wird, dass zuvor gemischte und rein männliche Teams bereits „ausprobiert“ worden waren und keinen Erfolg hatten. In jedem Fall ist es nach wie vor erfrischend und bei Weitem keine Selbstverständlichkeit, einen groß angelegten Film durch die Bank mit Darstellerinnen zu besetzen. Noch seltener wird dieser Umstand so kommentarlos und selbstverständlich inszeniert wie bei Alex Garland.

Abschließend muss hier noch ein kleines Loblied auf Score und Sounddesign gesungen werden. Denn der atonale, oft melodienlose Score trägt die unbequeme Stimmung des Films fast genauso sehr wie die Story oder die Darstellerinnen. Wesentlich besser und deshalb auch schlimmer sind jedoch einige Töne und Soundeffekte, deren Funktion hier noch nicht näher verraten werden soll. In Kombination mit der visuellen Darstellung brennt sich da so einiges ins Gedächtnis, das man eigentlich lieber nicht dort haben will.

Letztlich behandelt der Film aber nicht unser Grauen, sondern grundlegendere Themen. Ähnlich wie in den Büchern geht es kaum mehr darum, was uns zum Menschen macht, als eher darum, was das Leben selbst ist. Wie moralisch, menschlich oder bloß schön ist die Natur eigentlich? Was gehört dazu? Sterben? Veränderung? Und welchen Platz hätte der Mensch in einer Natur, die ihm endlich wieder ebenbürtig gegenüber stehen würde, die nicht von ihm beherrscht und zerstört werden könnte? Was passiert, wenn die Natur uns wieder beherrscht und zerstört? Ist sie deshalb böse oder schrecklich? Vielleicht schon. Aber vielleicht haben wir Menschen auch nur die Fähigkeit verloren, sie vorbehaltlos zu betrachten. Man darf sich von diesen Gedanken aber auch nicht auf eine falsche Fährte locken lassen. Auslöschung ist kein Bio-Schocker für verkappte Greenpeace-AktivistInnen. Der Film wirft vielmehr eine Vielzahl an kleinen und großen Fragen auf, die jede und jeder sicherlich anders beantworten oder bloß erkennen wird. Damit liefert er eine Menge Gesprächsstoff, verlangt aber auch eine gewisse Offenheit und Aufmerksamkeit. 

Fazit: Mit Auslöschung ist Alex Garland das unglaubliche Kunststück gelungen, Sprache und Literatur, die eigentlich über bloße Bilder hinausgeht, auf die Leinwand zu bannen. Dabei nimmt er sich genug Freiheiten, um eine echte Adaption möglich zu machen, die über eine bloße Nacherzählung weit hinaus geht. Aufgrund seiner verstörenden Bilder und Töne ist der Film jedoch nichts für schwache Nerven und aufgrund seiner komplexen Themen und bedächtigen Erzählweise nichts für Popcorn-Fans.

In diesem Sinne,

eure J.

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