Toni Erdmann

Originaltitel: Toni Erdmann
Regie: Maren Ade
Drehbuch: Maren Ade
Score: /
Darsteller: Peter Simonischek, Sandra Hüller


Wertung: 71 %

- Messerscharfes Porträt zweier Generationen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten - 


Der zu unorthodoxen Albernheiten neigende Musiklehrer Winfried Conradi reist nach Bukarest, um dort seine Tochter Ines zu besuchen. Ines arbeitet dort seit einem Jahr für ein Beratungsunternehmen und kann ihren Vater, von dem sie sich enorm entfremdet hat, in all der Professionalität eigentlich nicht gebrauchen. Kurzerhand erfindet Winfried die Figur „Toni Erdmann“ - inklusive Perücke und falscher Zähne - und begleitet sie immer wieder unaufgefordert zu wichtigen Meetings, um ihr so wieder näher zu sein.

Toni Erdmann. Muss man ja mal gesehen haben, dachte ich. Immerhin überschlagen sich nationale und internationale KritikerInnen mit Lobeshymnen auf den deutschen Film, der es seit Jahren mal wieder schafft, weltweites Interesse zu wecken. Inzwischen gilt Toni Erdmann als Anwärter für den Oscar für fremdsprachige Filme. Was also hat der Film so zu bieten?

Zunächst einmal eine Laufzeit von fast drei Stunden. Damit schlägt der Film im Grunde genommen  zwar auch nur in die sich seit einigen Jahren verbreiternde Kerbe der Überlängen, jedoch fragt man sich bei Toni Erdmann: Warum? Der Film folgt seinen zwei Hauptfiguren in verschiedene, zeitlich nah beieinander liegende Situationen, die sämtlich ausgekostet und von Anfang bis Ende gezeigt werden. Stellt sich nur die Frage, ob das wirklich notwendig gewesen wäre. Der Film erhält dadurch - und durch einige andere Elemente - etwas Dokumentarisches, das sicherlich den Geschmack pseudo-intellektueller Hipster-Cineasten trifft, letztlich aber für die Aussage des Films nicht immer notwendig gewesen wäre. So entstehen einige unnötige Längen. Man könnte Maren Ade jetzt zugute halten, dass sie eben sehr detailliert ihre Figuren studiert und sich Zeit nimmt, deren Gedanken, Gefühle und Veränderungen zu schildern. Nichts desto trotz rutscht man hier und da ungeduldig auf dem Sitz herum.

Das zweite Element, das den eben angesprochenen Dokumentar-Charakter unterstreicht, ist das komplette fehlen von (off-screen) Musik. Das fällt zwar nicht sofort auf, trägt aber eben auch nicht gerade zur Kurzweiligkeit des Films bei. Dass es auch ganz ohne geht, haben die Cohen-Brüder bereits mit No Country for Old Men bewiesen. Auch bei Toni Erdmann wäre ein passender Score sicherlich schwierig geworden, denn der Film lebt von seinen Dialogen und innerhalb dieser vor allem von dem, was zwischen den Zeilen gesagt wird. Umso mehr sticht die emotionale Performance von Ines heraus, als sie, von ihrem Vater am Klavier begleitet, einen Whitney-Houston-Song zum Besten gibt. 

Allgemein kann Sandra Hüllers Darstellung der Ines gar nicht genug gelobt werden. So überzeugend und tiefgründig hat sich seit Jahren keine deutsche Schauspielerin mehr gezeigt. Ines ist eine von Ehrgeiz völlig überrollte junge Frau, die zwar durchaus ihren eigenen Kopf hat, aber gleichzeitig in dem für heute so typischen System aus falscher Freundlichkeit, ewiger Erreichbarkeit und fehlender Privatsphäre gefangen ist. Stur arbeitet sie sich durch ihren Alltag, in dem für ihren sperrigen Vater einfach kein Platz ist. Alles muss geplant werden, alles muss einfach sein und immer klappen. Mit einem professionellen Lächeln auf den Lippen saust sie durch eine Stadt, die sie nicht kennen lernt und die im Film daher auch angemessen gesichtslos bleibt. Gegenpart ist der von Peter Simonischek verkörperte Winfried beziehungsweise Toni Erdmann. Ihm kommt eigentlich die Rolle des Komödianten zu, allerdings liegt er mit seinen eigentümlichen Scherzen meist so dermaßen neben dem Rhythmus seiner Umwelt, dass es beinahe schmerzt, ihm dabei zuzusehen, wie er versucht, die harte Oberfläche von Ines´ Geschäftswelt zu durchbrechen. Dabei offenbart er den Zwang aller übrigen Figuren, stets gute Miene zu bösem Spiel zu machen und ihre Angst, in Fettnäpfchen zu treten. Letztlich ist es aber Ines, die ihren Boss dazu bringt, sich für ihre Geburtstagsparty nackt auszuziehen. Überall stehen plötzlich rosa Elefanten im Raum, die niemand wagt, anzusprechen.

Hier offenbart sich die große Stärke des Films, nämlich Maren Ades Fähigkeit, die moderne Arbeitswelt mit chirurgischer Genauigkeit zu sezieren und auseinander zu nehmen. Jeder, der auch nur einen annähernd ähnlichen Beruf ausführt, sich gerade als Assistent irgendwo den Arsch aufreißt oder aber Familienmitglieder hat, denen es so geht, wird sich hier wiedererkennen. Nichts ist mehr privat, das Handy ist nie außer Reichweite und statt durch tatsächliche Leistungen arbeitet sich Ines durch Shopping-Touren mit der Frau eines Klienten nach oben. Ganz nebenbei ergeben sich auch noch Seitenhiebe auf den allgemeinen Optimierungszwang und die Abhängigkeit der Figuren vom Zuspruch anderer. Ist meine Leistung gut? Habe ich gut gearbeitet? Ines und ihre Assistentin können die Antwort nicht mehr selbst geben, sie brauchen die Bestätigung von höheren Stellen. 

Während das Porträt dieser Leistungsgeneration nahezu perfekt gelingt, wirkt die Figur von Winfried alias Toni Erdmann dagegen plump und eindimensional, wenn auch realistisch. Winfried ist ein komischer alter Kauz, der jeden, den er trifft, auf der Schnellstraße nach Absurdistan führt, ohne sich jedoch wirklich für denjenigen zu interessieren. Auch zu seiner Tochter bekommt er im Grunde nur deshalb so quälend langsam Zugang, weil er ihren kompletten Alltag, ihre Ziele und kleinen Kämpfe, augenblicklich der Sinnlosigkeit überführt. Das mag zwar im Grunde stimmen, allerdings schafft es Ade auch schon über die Dialoge der Geschäftspartner, diese Sinnlosigkeit offen zu legen. Toni Erdmann mit seiner schlechten Perücke, dem falschen Gebiss und den himmelschreiend skurrilen Einfällen wirkt dagegen immer wieder fehl am Platze, und zwar auf einer Ebene, die über die angestrebten Kontraste weit hinaus geht.

Abschließend bleibt noch zu sagen, dass der Film im Grunde für seine Laufzeit eine viel zu kurze Aussage trifft, nämlich, dass man sich selbst treu bleiben soll und so weiter und so fort. Es ist beinahe erschreckend, wie simpel sich diese Entwicklung gegen das hochkomplexe Sittenbild der modernen Arbeitswelt ausnimmt. Wenn die Credits ablaufen, fragt man sich nur wieder: Warum musste dieser Film jetzt so lange gehen? Aussage und Anspielungen waren doch bereits nach knapp 2 Stunden gesagt.

Fazit: Auf der einen Seite meisterhaft, auf der anderen zu sehr in sein eigenes Material verliebt, erschließt sich für den Zuschauer nicht so ganz, woher die enorme Aufmerksamkeit für Toni Erdmann eigentlich kommt. Schauspielerisch können alle Darsteller überzeugen, Sandra Hüller sticht sie jedoch alle aus. Sehenswert ist der Film sicherlich nur für Freunde unkonventionellen Kinos, die ein bisschen Sitzfleisch mitbringen.

In diesem Sinne, 

eure J.

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