Nocturnal Animals

Originaltitel: Nocturnal Animals
Regie: Tom Ford
Drehbuch: Tom Ford
Score: Abel Korzeniowski
Darsteller: Amy Adams, Isla Fisher, Jake Gyllenhaal, Aaron Taylor-Johnson


Wertung: 89 %
  • Atmosphärisch dichte und hervorragend gespielte Charakterstudie, die jedoch etwas Tiefgang vermissen lässt - 


Susan ist eine erfolgreiche Kuratorin, die eines Tages ein Manuskript von ihrem Ex-Mann Edward erhält. Das Buch ist Susan gewidmet und eine Art Thriller, in dem eine Familie auf nächtlicher Straße von drei Fremden abgedrängt und terrorisiert wird. Susan erkennt immer mehr ihrer eigenen Seiten in dem Roman, je länger sie liest - nachts und schlaflos. Was war damals zwischen ihr und Edward geschehen? 

Eine originelle Geschichte, hervorragende Darsteller und ein Szenenbild zum Niederknien: Tom Ford, der Designer, beweist mal wieder exzellenten Geschmack als Tom Ford, der Regisseur und Drehbuchautor. Manch anderer Kritiker bemängelte bereits, der Film sei einfach zu durchgestyled, zu schick. Dass Ford seinen Hillbillies nicht die nötige Schnodderigkeit zugestehen würde. Aber solche Kritiker vergessen gern mal, dass in einem Film nun wirklich gar nichts dem Zufall überlassen wird. Auch schnodderige Hillbillies werden zurecht gemacht. Und Tom Ford, der Designer, kann eben auch nicht aus seiner Haut. Er erfreut das Auge lieber mit ausgefallenen Kostümen, die die Menschen, die sie tragen, augenblicklich der Oberflächlichkeit überführen. Der Blick hinter die Fassade der Kunst durch die Augen eines Schriftstellers (Edward), sozusagen.

Doch von vorn. Zuerst wären da die Darsteller: Amy Adams brilliert einmal mehr - was anderes war auch nicht zu erwarten. Ihre Augen, die in zahlreichen Einstellungen gern mal die ganze Leinwand einnehmen, verraten immer gerade nur so viel, dass man im Grunde nichts darüber erfährt, was in ihr vorgeht - und somit alles. Unnahbar und kalt gleitet sie durch ihre durchwachten Nächte, ganz dem Raubtier gleich, das ihr Mann in ihr sieht, wenn er sie sein „nocturnal animal“ nennt. Dank Fords durch und durch künstlerischen Blick auf ihre Figur wird sie zu einer sich selbst stilisierenden und entmenschlichten Frau. Ist hier ein Sinnbild für eine ganze Generation von desillusionierten Hochschulabsolventinnen zu erkennen? Getrieben von Zynismus und Selbstkritik wenden wir uns nicht nur von unseren Idealen, sondern gleich ganz von uns selbst ab. Ihr Gegenstück ist der romantische Edward, der sich gleichzeitig in der Romanfigur Tony wiederfindet. Gyllenhaal schafft es spielend, sowohl dem jungen und naiven Edward wie auch seinem alter Ego Tony Leben einzuhauchen. Insbesondere die Sequenzen, in denen Tony mit dem grausamen Tod seiner Frau und Tochter - beides Abbilder von Susan - konfrontiert wird, geben Gyllenhaal Gelegenheit, sein Talent voll zu entfalten. Hervorgehoben werden sollte aber auch Aaron Taylor-Johnsons Leistung als herrlich widerwärtiger Fremdling. Nach eher enttäuschend flachen Darstellungen im Comic-Genre kehrt Taylor-Johnson erfolgreich zu alter Stärke zurück und kitzelt so viel himmelschreienden Wahnsinn aus seiner Figur, dass es dem Zuschauer kalt den Rücken runterläuft. Es ist beinahe eine zu große Dosis, dieses destillierte Böse, das er uns da anbietet. In kurzen Atempausen vermisst man fast etwas Geschichte hinter diesem Ekelpaket.

Und das ist eben auch Stärke und Schwäche zugleich bei Nocturnal Animals: Während Hauptfigur Susan quasi über die gesamte Laufzeit des Films immer weiter auseinander genommen wird, bleiben die übrigen Figuren um sie herum etwas flach. Edwards Entwicklung wird nur indirekt geschildert und der Böse ist eben der Böse. Ach, und einen kettenrauchenden Polizisten, ebenfalls gekonnt von Michael Shannon in Szene gesetzt, gibt es auch noch. Und obwohl die Ausgangssituation - Frau liest Buch, Handlung des Buches ist zweite Ebene des Films - durchaus erfrischend ist, bleibt die Handlung des Buches doch relativ geradlinig und ohne große Überraschungen. Wer einen waschechten Thriller erwartet, wird bei Tom Ford also enttäuscht. Auf dieser zweiten Ebene noch etwas mehr Spannung und Komplexität einfließen zu lassen, hätte definitiv nicht geschadet. 

Susan ist es, auf die Ford sich konzentriert. Sie und die Kameraeinstellungen von Seamus McGarvey, die man sich problemlos an die Wand hängen könnte, und zwar Szene für Szene. Das liegt - vor allem, wenn es um Susan geht - natürlich auch an den exquisiten Kostümen (in den Credits tauchen Namen wie Gucci, Prada und Karl Lagerfeld auf). Statt Ford das zum Vorwurf zu machen, sollte man sich also lieber dankbar zurücklehnen und die Augen ein bisschen entspannen angesichts dieser stilistischen Perfektion. Nie ist sie nur Selbstzweck, vielmehr überführt sie sich selbst der Absurdität. Das sollte eigentlich klar sein, sobald man die im ersten Moment doch etwas schockierenden Auftaktbilder gesehen hat. Untermalt wird das Ganze durch einen angenehm altmodischen Score von Abel Korzeniowski, in dem wir alles finden, was wir an unseren alten Klassikern so lieben: seufzende Streicher, wehmütige Melodien und die wohlige Abwesenheit elektronischer Sounds. Ford weiß diese Musik meisterhaft einzusetzen und, was vielleicht noch viel wichtiger ist, wann nicht. Der Geschichte und insbesondere den Dialogen zwischen Tony und dem Schurken Ray bleibt so genug Platz, um ihre Wirkung zu entfalten.

Fazit: Nocturnal Animals ist kein klassischer Krimi oder Thriller, sondern eine eingehende Charakterstudie, die nebenbei auch noch ein Augenschmaus ist. Die spannenden Elemente des Films hätten jedoch etwas mehr Komplexität vertragen können.

In diesem Sinne,

eure J

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