Who Am I - Kein System ist sicher
Originaltitel: Who Am I – Kein System
ist sicher
Regie: Baran Bo Odar
Drehbuch: Baran Bo Odar
Score: Michael Kamm, Jaro Messerschmidt
Darsteller: Tom Schilling, Elias
M´Barek, Wotan Wilke Möring, Antoine Monot Jr., Hannah Herzsprung
Wertung: 82 %
- kurzweiliger Anarcho-Spaß mit
Seitenhieben auf unser Informationssystem wie auch amerikanische
moderne Klassiker -
Benjamin ist, wie er selbst betont, ein
Niemand, ein Nerd – bis er eines Tages den selbstbewussten Max
trifft, der ihn mit einer Bande Hackern zusammenbringt. Zusammen
attackieren sie die Systeme von Pharma-Unternehmen, Börsen und
rassistischen Parteien und zeigen den Bossen buchstäblich den
Mittelfinger. Ihre Aktionen rufen schließlich Europol auf den Plan,
aber auch die Cyber-Mafia...
Es scheint vollbracht: Ein in
Deutschland produzierter Film, der über unlustige Komödien oder
Dramen über den Holocaust hinaus geht und trotzdem (oder gerade
deswegen?) überzeugen kann. Der bei genauerem Hinsehen sogar
wesentlich durchdachter und intertextueller daherkommt, als es auf
den ersten Blick klar wird. Der also nicht einfach Amerikanismen
wiederholt, sondern sie reflektiert und mit einem Augenzwinkern in
seine eigene Erzählung einflechtet. Kurz, ein unterhaltsamer,
durchaus sehenswerter Spaß.
Da wären zum Einen die zwei großen
Seitenhiebe auf David Fincher: Einerseits bedienen sich Kamm und
Messerschmidt relativ frech der Musik von Trent Reznor aus The Social Network. Hier stellt sich beinahe schon die Frage, ob das
abgekupferte Klavierthema bewusst oder unbewusst übernommen wurde,
da Musik eher seltener so schamlos adaptiert wird wie es hier der
Fall ist. Andererseits hätten wir mit den zwei zentralen Plottwists
zum Ende des Films hin einen klaren Hinweis auf Fight Club, aber
diesen ganz bewusst, denn wer genau hinschaut, sieht ein Filmposter
mit Tyler Durden in Benjamins Zimmer hängen. Jeder Cineast freut
sich über solche Querverweise, vor allem, wenn sie so augenzwinkernd
und leichtfüßig daherkommen wie in Who Am I. Bleibt nur zu
befürchten, dass der Film ohne dieses Vorwissen an Qualität
verliert und zu Wiederholungen bereits bekannter Stilmittel verkommt.
Aber da sind ja zum Anderen auch noch
die großartigen Schauspieler. Wotan Wilke Möring und Antoine Monot
Jr. (auch bekannt als Tech-Nick), aber auch Hannah Herzsprung müssen
sämtlich zurückweichen vor den mitreißenden Darstellungen von Tom
Schilling und Elias M´Barek, die zwei sich perfekt ergänzende
Seiten einer Medaille anbieten: den schüchternen Nerd und den
entgrenzten Blender. Während von Schilling ja auch nichts Anderes zu
erwarten war, schafft es M´Barek, sich einen weiteren Schritt vom
Türkisch-für-Anfänger-Image zu entfernen und seine Fähigkeiten
als ernstzunehmender Schauspieler zu unterstreichen. Es macht einfach
Spaß, ihnen bei ihren Schandtaten – aber auch ihrer
charakterlichen Entwicklung – zuzuschauen. Dagegen wirken die
Figuren von Möring, Monot Jr. Und Herzsprung fast schon ein wenig
stiefmütterlich und eindimensional. Hannah Herzsprung fällt dabei
besonders negativ auf, da sie zwar die gesamte Lauflänge überzeugend
spielt, ihre Figur aber kaum Tiefe erhält. Hier hätten wir sie also
mal wieder, die hübsche, aber konturlose Frau als schlichtes
Love-Interest, ohne eigene Geschichte oder Meinung. Ihr Gegenpart ist
die dänische Europol-Ermittlerin, die perfekt besetzt wurde und
wenigstens etwas Rückgrat und Charakter aufweisen kann.
Davon abgesehen überzeugen vor allem
der treibende, schnelle Erzählrhythmus des Films, die dreckige,
unaufgeregte Optik und der knallige Soundtrack von (unter anderem)
Boys Noize. Schnelle Schnitte, knackige Beats und jede Menge
durchwachte Nächte sorgen für die nötige Stimmung und erschaffen
wirklich kurzweilige Unterhaltung. Da wirken die eingestreuten
Sequenzen „im Netz“, in denen die Hacker quasi in einer Art
Matrix als Akteure zu sehen sind, beinahe schon übertrieben und ein
bisschen gezwungen. Ähnlich verhält es sich auch mit der wiederkehrenden und wirklich nervigen Bezeichnung von Benjamin als "Freak" (sämtliche, im deutschen Sprachgebrauch natürlicher klingenden Alternativen waren offensichtlich nicht edgy genug).
Fazit: Mit dem gebührenden Vorwissen
ist Who Am I (an dieser Stelle sei auch erwähnt, dass der englische
Titel ausnahmsweise mal seine Berechtigung hat, da es sich nämlich
um einen Unix-Befehl handelt) wirklich zackige Unterhaltung mit
großartigen deutschen Darstellern, spannender Handlung und
mitreißender Musik. Stellt sich nur die Frage, wann die deutsche
Filmindustrie auch dieser absichtlichen Intertextualität entsteigt
und wieder etwas wirklich Eigenständiges schafft.
In diesem Sinne,
eure J.
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