Stoker - Die Unschuld endet

Originaltitel: Stoker
Regie: Park Chan-wook
Drehbuch: Wentworth Miller
Score: Clint Mansell
Darsteller: Mia Wasikowska, Matthew Goode, Nicole Kidman

Wertung: 90 %


- Düstere, geheimnisvolle und wunderschön inszenierte Coming-of-Age-Geschichte -

Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters sieht sich India Stoker unterschiedlichsten Veränderungen gegenübergestellt, innen wie außen: Da wäre zum Einen das unangekündigte Auftauchen ihres charmanten Onkel Charlie, der ihrem Vater auch noch zum Verwechseln ähnlich sieht. Zum Anderen entwickelt sich die nachdenkliche Außenseiterin gerade vom Mädchen zur Frau. Welche Geheimnisse warten hinter Charlies eigenartigem Lächeln? Welche Umstände führten zum Tod von Indias Vater?

Park Chan-wook, der hierzulande spätestens seit Old Boy bekannt sein dürfte, erzählt das Erwachsenwerden einer jungen Frau. Und wie es sich für einen Regisseur seines Kalibers gehört, spielen dabei hübsche Jungs ebenso wenig eine Rolle wie Träume von einer Model-Karriere. Es geht vielmehr um die Frage, wer man sein möchte. Wer man ist und wer die eigenen Eltern sind. Welche Rolle spielen die Menschen, die uns großziehen, in unserem Leben? Prägen sie uns? Kann man überhaupt selbst entscheiden, wer man sein möchte? Oder ist alles Vererbung?

Diesen Fragen widmet sich Wentworth Miller in seinem Drehbuch. Der Prison Break-Star liefert damit die Grundlage für ein durch und durch stimmiges Werk, eine kleine eigene Welt. Denn obwohl keinerlei übersinnliche Elemente die Handlung auch nur berühren, hat der Zuschauer doch die ganze Zeit das Gefühl, alles wäre von einer Art Schleier überzogen. Einem Schleier des Eigenartigen, fremd und doch vertraut. Sehnsüchte und Unterbewusstsein erhalten in Stoker durch Bildsprache und Musik eine eigene Gestalt. Die malerische Kulisse und das zeitlose Ambiente unterstreichen diese einnehmende Wirkung ebenso wie die außerordentliche Kameraarbeit von Chung Chung-hoon, dem der Film einen Großteil seines Zaubers verdankt.

Natürlich sind Kamera, Requisite und Schnitt nutzlos, wenn die Darsteller nicht überzeugen können. Das winzige Ensemble, das hauptsächlich aus Matthew Goode als Onkel Charlie, Mia Wasikowska als India und Nicole Kidman als Indias Mutter besteht, weiß zum Glück auf ganzer Linie zu überzeugen. Nicole Kidman beweist endlich wieder, dass sie nicht nur ein hübsches Gesicht hat, sondern auch eine ernstzunehmende Schauspielerin ist. Ihre Mischung aus Hingabe und Verletzlichkeit ist perfekt dosiert und zeigt eine Frau, die hin- und hergerissen ist zwischen ihrem Begehren und ihrem Verstand. Dennoch schaffen es Goode und Wasikowska, sie an Intensität und Aufmerksamkeit locker zu übertreffen. Der Geschichte tut das nicht weh, denn es sind die Geheimnisse um den mysteriösen Onkel Charlie, die im Mittelpunkt stehen. Der hierzulande noch relativ unbekannte Matthew Goode, den einige vielleicht noch aus Watchmen – Die Wächter kennen, fasziniert mit absoluter Undurchschaubarkeit, und das von der ersten Minute an. Und obwohl mal Charlies Charme von Beginn an verfällt, möchte man ihm doch nie trauen.

Mia Wasikowskas große Leistung in diesem Film ist es, die gesamte Spielzeit hindurch nicht nur mit ihren erfahreneren Kollegen mitzuhalten, sondern die Handlung auch noch komplett zu tragen. Kühl und ernsthaft, wie sie ist, scheint sie die perfekte Besetzung für ein Mädchen, das zwar zur Frau wird, sich dabei aber mit Fragen konfrontiert sieht, die weit über die üblichen Belange eines Teenagers hinaus gehen. Deshalb spricht Indias Geschichte jedermann an, nicht nur – und vielleicht sogar eher weniger – Teenager, denn Chan-wook besetzt die Metamorphose vom Kind zur Frau mit unzähligen Symbolen und Metaphern, die es zu entschlüsseln gilt. Wem das zu anstrengend ist, dem bleibt immer noch der spannend erzählte Thriller, der sich um den Tod von Indias Vater und um Onkel Charlie entspinnt. Dieses Element allein gerät bei seiner Auflösung vielleicht ein wenig enttäuschend, ein wenig zu bescheiden. Zwar ist ungeheuerlich, worauf India im Lauf des Films stößt, doch handelt es sich eben bei Stoker nicht um einen Krimi. Die Lösung des Rätsels allein ist nicht Sinn und Zweck der Erzählung. Vielmehr ist es die Faszination an dem Rätsel selbst und die Art, wie es sich auf India auswirkt, die den Film so sehenswert machen.

Hörenswert ist in jedem Fall auch der Score von Clint Mansell. Ja, Darren Aronofsky weiß schon, warum er sämtliche seiner Filme von Mansell vertonen lässt. Virtuos formt er ganz eigene Stimmungen, die zwischen bedrohlich, eigenartig und Neugier erweckend schwanken. Und so trägt Mansell ganz entscheidend zur Atmosphäre des Films bei, verknüpft sie mit der symbolträchtigen Bildsprache und all den Dingen, die vor uns versteckt werden.

Fazit: Wer es hintersinnig und mysteriös mag, dem wird Stoker in seinen Bann schlagen. Wer einen reinen Thriller erwartet, dürfte allerdings enttäuscht werden. Also Augen auf, denn Stoker bietet so viel mehr als das!

In diesem Sinne,
eure J.

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