Lincoln



Originaltitel: Lincoln
Regie: Steven Spielberg
Drehbuch: Tony Kushner
Score: John Williams
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Joseph Gordon-Levitt, Sally Field, Tommy Lee Jones

Wertung: 80 %

-   Detailgetreue Mischung aus Portrait und Historiendrama, dem es gelegentlich an Spannung fehlt –

Ende 1864 steht der amerikanische Bürgerkrieg kurz vor seinem Ende. Abraham Lincoln ist als Präsident wiedergewählt worden und nichts liegt ihm so sehr am Herzen wie die Einführung eines 13. Zusatzartikels in die Verfassung – die Abschaffung der Sklaverei. Ironischerweise scheint es, als wäre dieser Zusatzartikel leichter durchführbar, wenn der Krieg weiter andauerte. Lincoln und seine Berater müssen nun abwägen, was moralisch vertretbar ist.

Dass Steven Spielberg nicht nur Dinos durch die Bildschirme hüpfen lassen kann, bewies er bereits mit dem gut recherchierten und feinfühligen Schindlers Liste. Nun nimmt er sich der amerikanischen Geschichte an und erzählt die letzten Monate im Leben von Abraham Lincoln, dessen Wirken die Menschen wieder ein bisschen näher zusammengerückt hat.

Der Film wird hauptsächlich von seinem großen, überaus erlesenem Cast getragen. Alles, was Rang und Namen hat, bekam eine Rolle in dem breit gefächerten Ensemble – und so verwundert es nicht, dass weit und breit keine auch nur mittelmäßige Schauspielleistung zu finden ist. Interessanterweise schafft es Daniel Day-Lewis als Lincoln trotz seiner bedeutungsschwangeren Hauptfigur Platz für die übrigen Darsteller zu lassen. Wie nicht anders zu erwarten verschmilzt er mit seiner Rolle und zeichnet ein ehrwürdiges Bild des Präsidenten. Seine unbändige Energie scheint gebündelt und die Wogen geglättet, Lincoln ist ein weiser, ausdauernder, aber auch erschöpfter Mann. Neben ihm zeigt Sally Field als Grande Dame Hollywoods wahre Größe, wenn sie scharfzüngig gegen Tommy Lee Jones antritt. Über allem liegt eine Aura der Glaubwürdigkeit, die nur selten von allzu amerikanischem Pathos durchbrochen wird.

Grund dafür ist auch die wahnsinnig detailgetreue Ausstattung des Films. Egal, ob vollgestopfte Debattierräume im Weißen Haus, Kostüme oder Außenszenen – alles passt wunderbar zusammen und erweckt einen Eindruck erstaunlicher Authentizität. Die Schauspieler agieren allesamt vollkommen natürlich in diesem historischen Umfeld, sodass nie eine Dissonanz zwischen Kulisse und Darsteller entsteht, wie es derzeit in Anna Karenina gelegentlich passiert. Die klassischen Kamerafahrten und –aufnahmen unterstützen den ruhigen Look des Films, ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu drängen.

Ebenso verhält es sich mit dem Score von Legende John Williams, der bereits vielen Spielberg-Arbeiten durch seine eingängigen und berührenden Melodien den letzten Schliff verleihen konnte. Diesmal nimmt er sich, ähnlich wie der Hauptdarsteller, deutlich zurück. Klassische Arrangements mit Klavier und Posaunen bestimmen seine Musik, die nur selten wirklich in den Vordergrund tritt. Vielleicht hätte man sich hier noch ein wenig mehr Wiedererkennungswert gewünscht, doch der ist in aktuellen Produktionen insgesamt selten geworden.

Auch was das Drehbuch angeht, folgt Lincoln aktuellen Trends. Zwar wird hier ein zeitloses Thema bearbeitet, doch auch in diesem Film lassen sich klar die Tendenzen zur Schlichtheit und zum Realismus erkennen. Auf eine genaue Einführung in das Thema wird verzichtet, nach ein paar eingeblendeten, hinführenden Worten ist der Zuschauer mitten im Leben von Abraham Lincoln. Die Dialoge wirken natürlich und wenig erklärend, wofür man gelegentlich den Überblick opfert. Auf epische Schlachtenszenen, die den Sezessionskrieg illustrieren, wurde ebenfalls weitgehend verzichtet, was aufgrund der langen, komplizierten Debatten zwischen den Politikern sicherlich nicht geschadet hätte. Der Krieg und all seine Schrecken rücken bis auf wenige, intensive Szenen völlig in den Hintergrund. Dadurch kann sich der Film zwar auf seine Hauptfigur und deren Anliegen konzentrieren, wird aber auch etwas zu lang.

Tatsächlich sind die einzige Schwäche des Films die sehr langen Dialoge und Monologe der Figuren. Zwar können die eingestreuten Szenen rund um die unorthodoxe Stimmenbeschaffung die Stimmung gelegentlich auflockern, doch bleibt es anstrengend, dem ständigen Hin und Her, dem Ränkespiel zwischen den Parteien und den vielen Argumenten aufmerksam zu lauschen. Oftmals erklärt Lincoln in einem seiner Monologe seine prekäre Lage, statt sie dramaturgisch dargestellt wird. Das trocknet den Film ein wenig aus und lässt den Zuschauer die 2,5 h Laufzeit deutlich spüren. Da stellt sich die Frage, ob das nicht auch anders zu lösen gewesen oder zu kürzen gewesen wäre.

Fazit: Wer sich in der amerikanischen Geschichte nicht auskennt, wird gelegentlich Probleme haben, der hervorragend inszenierten, aber doch gemächlichen Handlung zu folgen. Wer einen packenden Bürgerkriegs-Film erwartet, wird enttäuscht, denn bei Lincoln steht ganz klar die Einführung des 13. Zusatzartikels und somit die Abschaffung der Sklaverei im Vordergrund. Als Zuschauer sollte man nicht vergessen, dass dies nur eines von vielen Themen während Lincolns Amtszeit war – sich zurücklehnen und das grandiose Set mitsamt grandiosen Darstellern genießen. Wofür der Film allerdings 12 Oscar-Nominierungen erhalten soll (außer, dass er amerikanische Geschichte darstellt) bleibt mir schleierhaft.

In diesem Sinne,
eure J.

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