Tenet

 Originaltitel: Tenet

Regie: Christopher Nolan

Drehbuch: Christopher Nolan

Score: Ludwig Göransson

Darstellende: John David Washington, Elizabeth Debicki, Kenneth Branagh, Robert Pattinson



Wertung: 85 %


 Wenn das Wörtchen wenn nicht wär… –



Ein CIA-Agent erlebt in einem Geheim-Projekt, wie Dinge und sogar Menschen in der Zeit rückwärts agieren können: sie invertieren. Doch die Technologie stammt aus der Zukunft und wird nur zu einem einzigen Zweck genutzt: die Vergangenheit auszulöschen. Kann ein Team aus Geheimagenten das Ende der Welt aufhalten, bevor es beginnt?


Da ist er also, der neue Nolan-Film. Nach langer Corona-bedingter Durststrecke ist es ausgerechnet der Hochglanz-Actioner dieses Hollywood-Wunderkinds, an dem wir uns wieder im dunklen Kinosaal erfreuen dürfen. Aber funktioniert das? Kann Nolan an die Stringenz und Eleganz von Inception anknüpfen, an die theoretischen Höhenflüge von Interstellar oder die bedrückende Konsequenz von Memento? Nun, er kann. Trotzdem fehlt es Tenet an allen möglichen Ecken und Enden an dem, was diese Filme so mitreißend gemacht hat.


Keine Frage, für das Drehbuch von Tenet hat Nolan sicherlich so einige Mind Maps zeichnen müssen. Denn der Film fällt quasi in sich zusammen. Er läuft ab seiner Hälfte linear betrachtet rückwärts. Das passt zum Thema, das mitnichten Zeitreise genannt werden kann. Zeitumkehr beziehungsweise der im Film verwendete Begriff der ‚Inversion‘ trifft es schon eher. Wie schon bei Looper gibt es auch bei Tenet gleich eine Figur, die uns darum bittet, diese Prämisse nicht allzu sehr zu zerdenken. Das ‚Großvater-Paradoxon‘ lässt sich eben nicht auflösen und ‚Paradoxon‘ ist schließlich, das wissen wir seit Inception, Nolans Lieblingswort. Also zurücklehnen und den Film genießen? Das klappt ganz gut. Die rückwärts laufenden Menschen, Explosionen, Schiffe und Handlungsstränge sind eine Freude für jedes Cineasten-Auge, die Verfolgungsjagden und Zweikämpfe packend und wunderschön inszeniert. Der Protagonist ist ein smoother Man of Colour, der in einer herrlich postkolonialen Sequenz dem britischen Snobismus anderer Agentenfilme in den Arsch tritt. Und nichts anderes ist Tenet letztendlich: ein Agentenfilm. Nolan selbst machte im Vorfeld kein Geheimnis darum, dass es vor allem Agentenfilme sind, die ihn schon immer faszinierten und die er schon immer selbst drehen wollte. Aber ähnlich wie Steve McQueens Ausflug ins Thriller-Genre (Widows) so endet auch Nolans Ausflug in das Genre, das er am meisten liebt, nicht unbedingt mit seinem besten Werk. 


Grund dafür sind einige Schnitzer, die man einem Veteran und Meister wie Nolan gar nicht zugetraut hätte. Aber auch Meister sind eben Menschen und daher fehlbar. Doch der Reihe nach. Erst einmal macht Nolan den Fehler und schert sich kein Stück um die emotionale Bindung des Publikums an seine Hauptfigur. Dass die namenlos bleibt, ist bezeichnend für Nolans Herangehensweise. Wir wissen quasi nichts über diesen Menschen, er hat kein Privatleben, keine Interessen und keine Bezugspersonen außerhalb der aktuellen Handlung. Es ist, als hätte er vor Beginn der Filmhandlung nicht existiert. Das macht es sehr schwer, sich emotional an ihn zu binden. Und ohne emotionale Bindung an die Hauptfigur wird die Filmhandlung kalt und weniger mitreißend. Das verwundert doch sehr, denn das ist schließlich Film-Einmaleins. Wenn es Nolans Absicht war, einen solchen Charakter einzuführen, dann war es in jedem Fall eine Fehlentscheidung. John David Washington versucht sein Bestes, um diesen Fehler mit Charisma und Charme auszugleichen, aber hier kämpft er leider gegen Nolans zweiten Fehler an. Tenet leidet, im Gegensatz zu Nolans Vorwerken, immer wieder an tonalen Dissonanzen und Spannungen. Während die Figuren durchaus witzige One-Liner zum Besten geben, dröhnt die Musik düster weiter vor sich hin. Also was nun?, denkt man da. Soll ich jetzt lachen oder ist alles ganz schlimm und ernst? Auch erreicht die Musik von Goransson lediglich ein ‚befriedigend.‘ Ganz in Zimmers Tradition lässt Göransson die Bässe wummern; die spärlichen Instrumente geben eher rhythmische Geräusche von sich, als dass sie Melodien formen. Erst zum Ende hin kriegt sich der Score ein bisschen ein und lässt die ein oder andere Emotion zu. Dritter Fehler? Die weibliche Hauptfigur. Auch hier tut Darstellerin Elizabeth Debicki, was sie kann, um ihr Tiefe zu verleihen, aber es scheint, als könne sich Nolan Frauen eben nur als Gegenüber von Männern vorstellen. Das war schon bei Interstellar und Inception so, aber da waren die Figuren an sich wenigstens noch intelligent oder interessant. Weil es in Tenet aber um Agenten geht, kann die Jungfrau in Nöten natürlich nur Ehefrau und Mutter sein. Lieber Christopher, will man da rufen, wir leben im Jahr 2020. Da wäre definitiv mehr drin gewesen. Und von der Gender-Perspektive abgesehen fällt es eben auch hier schwer, emotionale Bindung zu einer Frau herzustellen, die einen russischen Waffenhändler heiratet, danach aber todunglücklich deswegen ist und nur noch ihren Sohn retten will (den wir dann aber nie zu Gesicht kriegen). Show, don’t tell, das ist eine weitere Grundregel im Film-Einmaleins. Was die Figurenkonstellationen angeht, lässt Nolan seine Figuren aber lieber alles erzählen und zeigt so gut wie nichts. Fast ist da der smarte britische Geheimagent Neil noch die nahbarste Figur, obwohl zu seiner absoluten Stärke zählt, bis zum Ende der Handlung (oder ihrem Anfang?) ziemlich undurchschaubar zu bleiben. Der Bösewicht kann dagegen nicht so recht überzeugen und grummelt bedeutungsschwanger die flachsten Plattitüden vor sich hin, die man sich für einen Agentenfilm-Bösewicht nur vorstellen kann. Klar, er ist natürlich Russe und er ist natürlich Waffenhändler und Egomane und er will natürlich die Welt vernichten und seine Frau darf auch keiner haben, wenn er sie schon nicht selbst haben kann… ach Mensch. Da wäre doch ein bisschen mehr Kreativität drin gewesen! Zumal Nolan seinen Film sehr geerdet und realistisch erzählt. Wäre der Film insgesamt drüber gewesen, hätten auch die Stereotypen nicht so gestört. Da ja aber alles so nahbar wirkt, stoßen die flachen Figuren umso mehr auf.


Was natürlich super funktioniert, ist Nolans Spiel mit der Zeit. Sowohl die einzelnen Handlungsstränge als auch deren visuelle Umsetzung können vor allem deshalb überzeugen, weil Nolan auf so wenig CGI wie möglich setzt. So natürlich sehen die unterschiedlichen Zeitverläufe aus, die wir gleichzeitig zu sehen bekommen, dass man sich nicht mal fragt: Wie haben die das gemacht? Könnte aber auch daran liegen, dass man spätestens ab der Hälfte des Films höllisch aufpassen muss, wer wann ist und warum. Da hilft auch der sprichwörtliche rote Faden nicht immer, den Nolan quasi als kleinen Schenkelklopfer eingeflochten hat. Ähnlich wie Inception muss man Tenet wohl mehrere Male sehen, um die verschiedenen Ebenen miteinander wirklich verbinden zu können. Bei Inception waren diese Ebenen wenigstens noch räumlich voneinander getrennt. Bei Tenet sehen wir sie jedoch tatsächlich gleichzeitig und nicht als Parallelmontage. Das erfordert schon die ein oder andere Hirnwindung. 


Fazit: Handwerklich verschenkt Nolan viel Potenzial auf der Figuren-Ebene. Der Film wirkt dadurch oft kalt und weniger mitreißend, sondern eher beeindruckend. Letztlich ist Tenet also intelligentes Überwältigungskino, das nicht zu berühren vermag.


In diesem Sinne,

eure J.

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