Joker

Originaltitel: Joker
Regie: Todd Phillips
Drehbuch: Todd Phillips, Scott Silver
Score: Hildur Gudnadottir
Darstellende: Joaquin Phoenix, Robert DeNiro, Zazie Beetz


Wertung: 76 %

- Fragwürdige Gewaltverherrlichung mit großartigen Darstellenden, aber etwas zu viel Pathos -


In den 19080er Jahren in Gotham verdingt sich Arthur Fleck eher schlecht als recht als Partyclown, wohnt bei seiner Mutter und leidet unter einer neurologischen Störung, die ihn in den unpassendsten Momenten laut auflachen lässt. Als er seinen Job verliert und auch seine Sitzungen mit seiner Sozialhelferin gestrichen werden, driftet er immer weiter an den Rand der Gesellschaft. Anerkennung, das lernt er bald, findet er nicht durch Humor, sondern durch Gewalt. Aus Fleck wird schließlich der Joker – Gothams gefährlichster Schurke und Batmans Erzfeind.

Viel wird derzeit über den Joker geschrieben und diskutiert, und nur die Hälfte davon ist eigentlich der Rede wert. Natürlich ist der Film zum Beispiel keine Anleitung zum Terror-Anschlag, wie die US-Medien gerne behaupten. Aber wie kommt man überhaupt darauf? Die Frage führt direkt in den Kern des Films, seine Ästhetik und damit auch Problematik: Was stellt der Film dar? Es geht hier weniger um die Gewalt, die Arthur letztlich als befreiend empfindet. Immerhin ist dies ein Film über einen der faszinierendsten Bösewichte der Popkultur. Warum also einzelne Zuschauende den Saal frühzeitig wegen der gezeigten Brutalität verlassen haben, bleibt ein Rätsel. Die Frage ist also nicht, ob und wie der Film Gewalt darstellen kann und darf, sondern, gegen wen sie sich richtet. 

Symptomatisch ist dafür Arthurs erster Mord. Er sitzt in der U-Bahn und sieht mit an, wie drei geölte Vollidioten eine junge Frau belästigen. Aus Gründen, die wir nicht kennen, hilft er ihr nicht, sondern sieht geschlagen zu Boden. Schließlich bricht sein pathologisches Lachen aus ihm heraus, was die drei jungen Männer schließlich von der Frau ablenkt. Sie kommen näher und verprügeln Arthur schließlich. Er zieht seinen Revolver und erschießt einen nach dem anderen. Hier sind mehrere Dinge zu beachten: Erstens, der Revolver wurde Arthur von einem seiner heimtückischen Arbeitskollegen verkauft, nachdem Arthur von einer Gruppe Jugendlicher auf offener Straße verprügelt worden war. Es ist aber weniger eine Geste der Fürsorge, als ein Plan, um ihn loszuwerden, denn der Kollege verpfeift Arthurs Waffenbesitz später an den Chef, wodurch er gefeuert wird. Der Revolver kam also von außen zu Arthur, er hat ihn nicht bewusst erworben. Außerdem steht er für den Verrat durch seinen Kollegen. Zweitens, durch sein Lachen kann Arthur die Aufmerksamkeit der drei Kerle von der Frau ablenken, was ihn letztlich zu ihrem Retter macht. Und drittens: Die Männer, die er erschießt, besitzen allein nach der Darstellung im Film keinerlei positive Eigenschaften. Sie sind in dieser Situation die Bösen. Ihr Tod erfährt also eine moralische Rechtfertigung. 

Nach diesem Mechanismus funktionieren alle Morde, die Arthur auf seinem Weg zum Joker begeht, ausgenommen der letzte. Auf die ein oder andere Weise begehen seine Opfer schlechte Taten, die aus Arthurs Perspektive ihre Ermordung rechtfertigen. Doch Moment – nur aus Arthurs Perspektive? Da der Film eine Charakterstudie ist, die sich voll und ganz seiner Hauptfigur verschreibt, nimmt auch der gesamte Film diese Perspektive ein. Die Welt ist schlecht und ohne diese sexistischen Arschlöcher, so scheint Regisseur Todd Phillips uns zu sagen, ist sie immerhin ein bisschen weniger schlecht. Weil Arthurs Umfeld schändlich eindimensional gezeichnet wird, bleibt den Zuschauenden gar nichts anderes übrig, als mit dem psychopathischen Joker mitzufühlen. 

Man kann nun lange darüber nachdenken und argumentieren, dass dies die reine Absicht war. Dann wäre Jokers verdrehte Moral eine Herausforderung für das Publikum, die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen. Denn nach unseren Rechtsvorstellungen verdienen Menschen natürlich nicht gleich den Tod, nur weil sie eine junge Frau in der U-Bahn belästigen. Der Joker wäre dann ein Bösewicht, weil er diesen Vorstellungen widerspricht und sie dennoch tötet. Allerdings ist der Joker ja in dem Moment des Mordens gar nicht als Bösewicht dargestellt, sondern seine Opfer sind es. Aus Arthur wird so der Held der Geschichte. Und dies geschieht nicht seinen Morden zum Trotz, sondern gerade wegen ihnen: Gerade weil Phillips seine Charakterstudie als Heldenreise erzählt, kommen dem Joker auch die Funktionen eines Helden zu. Er überwindet zahlreiche Gefahren, Hinternisse und Gegner, trifft schließlich auf seinen Erzfeind (im Film der Talkmaster Murray) und wird am Ende als Sieger gefeiert. All dies trifft auch auf Joker zu. Er ist deshalb nicht der Böse, sondern eine Art Anti-Held.

Und genau diese Erzählstruktur macht den Film so problematisch: Indem er sich weigert, Arthur außerhalb der Helden-Logik zu erzählen, funktioniert er dessen Gewalt zu Heldentaten um. Abseits dieser prägenden Stationen mag Joker ein fein gezeichnetes Drama sein, aber in den entscheidenen Momenten kehrt er zu seinen Wurzeln der Comic-Verfilmung zurück. Und das tut dem gesamten Film nicht gut, denn er entwirft eine Gesellschaft, die durchweg schlecht ist. Sagt der Film damit auch etwas über unsere Gesellschaft aus? Ist er eine Kritik am Amerika unter Trump? Er kann es nicht sein, denn da wir nur Arthurs Perspektive auf die Welt zu sehen bekommen, bleibt die Aussagekraft des Films auch darauf beschränkt. Joker sagt also gar nichts über Gesellschaft aus, sondern nur über die Subjektivität derer, die in ihr leben. Kleinste Szenen, in denen Arthurs Widersacher als das gezeigt werden was sie sind – nämlich Menschen, die wie alle von uns gute und schlechte Eigenschaften in sich vereinen – hätten genügt, um die Enge dieser Perspektivität zu durchbrechen. Laufzeit hätte der Film dafür genug gehabt.

Mit seiner Ernsthaftigkeit und seinem ästhetischen Anspruch stellt Phillips sich letztlich selbst ein Bein. Denn wer zum Nachdenken anregt, der muss sein Publikum auch ernst nehmen und ihm moralische Überlegungen selbst zugestehen, statt seine Gefühle zu manipulieren. Es wäre mutiger gewesen, Jokers Sicht auf die Dinge gelegentlich zu verlassen und ihn als das zu zeigen, was er ist: ein Gescheiterter, der aus den falschen Gründen verehrt wird. So aber beschränkt sich der Knalleffekt des Films darauf, dass wir uns ertappen sollen, wie wir mit einem Psychopathen mitfühlen – als wäre das ohne fremde Hilfe nicht möglich. Dabei haben Formate wie Breaking Bad längst gezeigt, dass eine heldenhafte Überhöhung nicht nötig ist, um einen komplexen, fehlgeleiteten Charakter zur Hauptfigur zu machen.

Joker verschenkt daher viel Potenzial zu echter Aussagekraft, bleibt an der Oberfläche und weidet sich an dem brillanten Spiel von Joaquin Phoenix, die zurecht als Oscar-würdig gehandelt wird. Obwohl der Film ästhetisch eine angenehme Abwechslung zum Marvel-Einerlei ist, reiht er sich auf narrativer Ebene völlig widerstandslos in die Riege der Superhelden-Filme ein.

Fazit: Da wäre einfach mehr drin gewesen. Und so komplex die Figur des Arthur Fleck auch gezeichnet sein mag – die Geschichte von der weißen Männlichkeit in der Krise (Ad Astra mit Brad Pitt lässt grüßen!) vermag einfach nicht mehr zu überraschen.

In diesem Sinne,

eure J.

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