Suspiria (2018)

Originaltitel: Suspiria
Regie: Luca Guadagnino
Drehbuch: David Kajganich
Score: Thom Yorke
Darstellerinnen: Dakota Johnson, Tilda Swinton, Mia Goth


Wertung: 95 %

– Ungemütliches Horror-Remake von hervorragender Visualität und Kraft –


West-Berlin, 1977. Die junge us-amerikanische Tänzerin Susie versucht ihrer Kindheit und Vergangenheit zu entkommen, die stets von ihrer streng gläubigen Mutter, einer Mennonitin, geprägt war. Sie findet Unterschlupf in der rein weiblichen Tanzakademie von Madame Blanc, tanzt vor und bekommt schnell Aufmerksamkeit und Hauptrolle zugesprochen. Was Susie jedoch nicht weiß: Die Leiterinnen der Schule sind allesamt Hexen, die im Kellergewölbe der Akademie finstere Gestalten verbergen. Wird Susie den Kreis der uralten Rituale durchbrechen oder wird sie nur das nächste Opfer sein?

Die Nerven sollten schon gestählt sein, wenn man sich Suspiria anschauen will. Denn der Film schafft es aus vielerlei Gründen, verstörende Bilder und Töne ins Hirn seiner Zuschauenden zu prägen: Da wäre zum Einen das enervierende Spiel sämtlicher Hauptrollen, von Dakota Johnson über Mia Goth bis hin zur Göttin Tilda Swinton, die mit Suspiria zu sagen scheint: Fuck that shit, I’m awesome. Womit sie ja auch vollkommen Recht hat. Dann hört man dem Score deutlich Thom Yorkes düsteres Vergnügen bei Komposition und Arrangement seiner Musik an, die sich nach und nach durch die Handlung wurmt wie ein Geschwür. Und schließlich dürfen wir dank der Choreographie von Damien Jalet einige wirklich außergewöhnliche Tanz-Arrangements genießen, die mehr durch Monstrosität denn durch Schönheit bestechen.

Wovon der Film lebt, ist allerdings nicht nur das nahtlose Zusammenspiel dieser drei großen Komponenten, sondern auch seine Körperlichkeit: Statt allzu viel CGI löst das Team um Mark Coulier den Großteil der oftmals widerwärtigen Transformationen durch hingebungsvolle Prothesen und literweise Kunstblut. Das erhöht nicht nur den Retro-Faktor, sondern auch die Überzeugungskraft von Luca Guadagninos Bildern. So geerdet, wie der Film sich gibt, so schmerzhaft bricht das Ungeheuerliche in ihn hinein, bis es Handlung, Bilder und Musik vollständig in Besitz genommen hat. Ganz dem Original verpflichtet – dem Kultfilm von Dario Argento aus eben jenem Jahr 1977 – geht Guadagnino dabei nicht zimperlich vor. Bis zum ersten, grotesk verstümmelten Körper auf dem Tanzfußboden vergehen nur wenige Minuten. Auch hier erzeugen die tänzerischen Fähigkeiten der Darstellerin zusammen mit greifbaren Prothesen und wohldosiertem CGI einen verstörenden Naturalismus, dem man sich kaum entziehen kann. Und die Kamera hält immer schön drauf.

Wer sich davon nicht schrecken lässt (oder zumindest diesen Schrecken willkommen heißt), darf auch ein wenig tiefer blicken. Ähnlich wie schon The Witch inszeniert Suspiria Hexerei als Verkörperung weiblicher Macht und Emanzipation. In einer Welt des vergangenen (die NS-Zeit) und bestehenden Terrors (RAF-Angriffe) lösen sich Fragen nach der Grausamkeit menschlichen Wirkens scheinbar auf, werden vollständig überführt auf ein weibliches Wirken, das uns ahistorisch, aber nicht geschichtslos gegenübertritt. Der Verweis auf das mythische, nicht mehr zählbare Alter der drei Mutter-Hexen „Tränen“, „Seufzer“ und „Tod“ ist ein weiteres Beispiel für die dunklen Seiten der Vergangenheit, die wir nicht greifen können und die uns doch immer wieder heimsucht. 

Männer – das wird im Laufe der Handlung schnell klar – können den Mächten der Hexen nichts entgegensetzen. Sie glänzen durch Abwesenheit oder willenlosen Gehorsam, werden aber sonst weder für geistiges noch körperliches Vergnügen benötigt. Daher war es natürlich auch ein genialer Schachzug, die einzige männliche Nebenrolle von Bedeutung, nämlich den Psychiater Dr. Klemperer, von Tilda Swinton spielen zu lassen. Dabei zeigt die Maske eine bislang beinahe unerreichte Perfektion. Modische digitale Alterungs-, Verjüngungs- oder Veränderungstechniken des aktuellen Kinos kommen da einfach noch lange nicht ran. Swinton spielt den alten Mann zudem derartig überzeugend, dass es bis zum Ende einfach bleibt, die Figur als solche ernst zu nehmen. Natürlich muss auch Klemperer, immerhin ein Mann, der mit dem Verständnis gestörter weiblicher Seelen seinen Lebensunterhalt verdient, vor der Macht der Hexen kapitulieren. Immerhin durfte er aber Einblicke in eine Welt erhalten, die sich vor allen anderen verbirgt.

Weiblichkeit und weibliche Macht spielen in dem Film also eine zentrale Rolle; jedoch stellt sich die Frage, ob sie überhaupt als etwas Positives dargestellt wird. Immerhin ist der Hexenzirkel innerhalb der Tanzakademie Quelle und Ort grausamer Monstrositäten: jenem Verstörenden und jenem Anderen, dem sich das Horrorgenre so gerne widmet. Reine, von männlicher Herrschaft unbehelligte Weiblichkeit erscheint hier also beängstigend, ja, als eine Parallelgesellschaft unterhalb unserer gemütlichen Realität. Damit könnte man Guadagnino fast schon als Macho abstempeln, aber so einfach ist es natürlich nicht. Auch Thomasin gibt in The Witch ihr familiäres und religiöses Leben auf, um in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter Heimat und Freiheit zu finden. Ähnlich ergeht es den jungen Tänzerinnen, die in dem Internat der Akademie aufgenommen werden. Letzten Endes muss das Matriarchat einer der Hexen durchbrochen werden, die Gemeinschaft jedoch bleibt bestehen und geht alsbald ihrem Alltag wieder nach, als sei nichts gewesen.

Damit zeichnet der Film letztlich ein fast versöhnliches Bild weiblicher Macht, denn er zeigt uns, dass sie sich im Grunde nicht von anderen Mächten unterscheidet: Sie ist beängstigend und beschützend zugleich, nimmt Leben und gibt sie wieder. 

Fazit: Auf visueller Ebene ist der Film nichts für zart Besaitete, thematisch und narrativ stellt er ebenfalls einigen Anspruch an sein Publikum. Daher ist Suspiria zwar ein erfrischend selbstständiges Remake, allerdings sicherlich keine leichte Kost für zwischendurch. 

In diesem Sinne,

eure J.

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