Glass

Originaltitel: Glass
Regie: M. Night Shyamalan
Drehbuch: M. Night Shyamalan
Score: West Dylan Thordson
DarstellerInnen: James McAvoy, Anya Taylor-Joy, Sarah Paulson, Samuel L. Jackson, Bruce Willis


Wertung: 87 %

– in sich ruhende Reflexion über Heldentum, Andersartigkeit und Erzählstrukturen im Comicfilm –


Der übermenschlich starke und „unzerbrechliche“ David Dunn, der vor 19 Jahren als einziger ein Zugunglück unbeschadet überstand, befindet sich auf der Suche nach dem Serienkiller Kevin Wendel Crumb, den sie nur „die Horde“ nennen. Der an dissoziativer Identitätsstörung leidende Mann hadert mit 23 Persönlichkeiten, von denen eine von ihnen, die Bestie, ebenfalls übermenschliche Kräfte entwickeln kann. Als Crumb und Dunn gefasst werden, verlegt man sie in eine psychiatrische Anstalt. Diagnose: Wahnvorstellungen. Haben die beiden wirklich Superhelden-Kräfte oder bilden sie sich nur alles ein?

Als am Ende von Split 2016 plötzlich Bruce Willis als David Dunn auftauchte, johlte das halbe Kino. Denn während Split zu weiten Strecken ein völlig „natürlicher“, also in der realen Welt verhafteter Thriller zu sein schien, wurde mit dem Erscheinen der Bestie letztlich klar, dass es so einfach eben doch nicht sein kann. Letztlich war Split also nicht nur eine fein gezeichnete Charakterstudie – sowohl von Crumb, als auch seines Opfers Casey –, sondern eine Art Origin Story. Nur eben nicht die eines Helden, sondern eines Bösewichts, der „Bestie.“ Shyamalan setzte damit fort, womit er in Unbreakable bereits begonnen hatte, nämlich das Fragen nach „echten“ Helden. Damit waren nicht „reale“ Helden wie Feuerwehrmänner und -frauen, Notärzte oder MenschenrechtlerInnen gemeint, sondern Helden im mythologischen Sinne, also Außenseiter mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, wie wir sie aus Comics kennen. So offenherzig stellte er diese Frage, dass er Teile von Unbreakable gleich in einem Comicladen spielen ließ und seinem Antagonisten eine Sammelobsession anfügte. Das Publikum wurde im Laufe des Films von Davids Fähigkeiten überzeugt, es sollte an seinen Helden „glauben.“ Das Tragische daran war nur, dass eben auch Elijah Price in Gestalt des Bösewichts an ihn glaubte. So sehr wollte er an ihn glauben, dass er den gesamten Zug entgleisen ließ, nur um David zu finden. Der Glaube an das übernatürlich Gute hatte aus der tragischen Figur des Elijah „Mister Glass“ Price einen Bösewicht gemacht. Mit diesen eher meditativen Fragen rund um die Heldengeschichte im Allgemeinen und Comics im Besonderen, kombiniert mit einer extrem ruhigen und unaufgeregten Inszenierung, schuf Shyamalan 2000 einen Film, für den die Kinolandschaft noch nicht bereit war. Zwar erntete Unbreakable durchaus gute Kritiken, an eine Fortsetzung war jedoch nicht zu denken.

Shyamalan konnte warten. Er wartete sogar 16 Jahre, bevor er mit Split den geheimen Nachfolger für Unbreakable lieferte. Wieder finden wir eine sehr greifbare, in ihrer Ruhe buchstäblich beunruhigende Inszenierung vor, die bis zum Schluss Zweifel zulässt: Gibt es die Bestie wirklich? Oder existiert sie nur als Vorstellung der übrigen Persönlichkeiten Crumbs? Fast hätte man enttäuscht sein können, dass Shyamalan dann doch das Übernatürliche in die Handlung einließ, als die Bestie erschien – zwar in Menschengestalt, aber doch stark und schwer verwundbar. Als jedoch klar wurde, dass die Bestie letztlich der neue Antagonist für David Dunn war, erschlossen sich die übernatürlichen Elemente sofort. 

Wäre Glass nun lediglich ein Aufeinandertreffen von David Dunn und der Bestie geworden, hätte dies einige große Schritte zurück ins flache Gewässer für Shyamalan bedeutet. Nichts als Fan-Service und Spektakel hätte uns erwartet. Was der Titel aber natürlich nahelegt, ist das Gegenteil: Während Dunn und Crumb ihr Spiegelbild im jeweils anderen erkennen, stellen sich eigentlich vollkommen andere Fragen, die in der Gestalt des Mister Glass und seiner Antagonistin – der Psychiaterin Ellie Staple – auftreten. Wieder sind wir angehalten, zu zweifeln: Haben wir bislang nur eine subjektive Geschichte gesehen? Sind wir nur dem Wahn zweier einsamer Männer verfallen? Hat Shyamalan uns in den beiden ersten Filmen belogen und demontiert nun das Superhelden-Genre insgesamt? Denn letztlich ist Glass ein nahezu religiöser Film: Er stellt die Frage, woran wir glauben, wenn wir diese Filme sehen. Wollen wir glauben, dass Helden und Monster existieren? 

Vielfach wurde moniert, die scheinbare Finesse und Erdung dieser Fragen verlieren rasch an Glanz, wenn man sie nicht im Lichte der Superhelden-Filme betrachtet. Als eigenständige Filme funktionierten Unbreakable und Split tatsächlich um einiges besser, als es bei Glass der Fall ist. Auch fehlt es dem Film ein wenig an der erzählerischen Stringenz und Stilsicherheit seiner Vorgänger. Das liegt zum Einen daran, dass David und Kevin jeweils sehr unterschiedlich inszeniert worden waren und Shyamalan im dritten Teil nun auf beide Muster gleichzeitig zurückgreift. Muster zu Muster, das beißt sich eben auch manchmal. Zum Anderen versucht er gar nicht erst, Glass als eigenständigen Film zu begreifen. Dafür führt er die Ideen und Handlungsstränge der ersten Teile zu konsequent fort. Auch ist Glass, mehr noch als seine Vorgänger, ein Film der Metaebene. Er wiederholt genretypische Erzählmuster ebenso, wie er sie ästhetisch unterwandert. Statt CGI, Explosionen und einstürzenden Gebäuden sehen wir hauptsächlich die Psychiatrie, in der die drei Hauptpersonen behandelt werden. Umso wirkungsvoller treffen uns dann die sorgfältig und erfrischend inszenierten Kampfsequenzen und der Einsatz der heldenhaften Fähigkeiten. Auf diese Weise lädt Shyamalan uns auch zum Staunen ein: Ganz automatisch entwickeln wir eine in dem Verständnis unserer „realen“ Welt wurzelnde Ehrfurcht vor Held und Bösewicht, die uns von Marvel durch Ironie, Brüche und Humor bereits aberzogen worden war: Sehet und staunet.

Letztlich ist Glass eine Comic-Heldengeschichte, die uns jedoch auf angenehme Weise daran erinnert, warum wir solche Geschichten – auch im Kino – mögen: weil sie das Andersartige feiern. Der Comic-Held ist in erster Linie und immer auch ein Außenseiter. Er ist darauf angewiesen, dass wir an ihn glauben.

Fazit: Obwohl Glass sowohl stilistisch als auch erzählrhythmisch nicht ganz an seine Vorgänger anknüpfen kann, stellt er eine sorgfältig inszenierte Meditation über Superhelden im allgemeinen und ihre religiöse Verehrung im Besonderen dar. Sehenswert ist der Film insbesondere im Zusammenhang mit seinen Vorgängern.

In diesem Sinne,

eure J.

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