Venom


Originaltitel: Venom
Regie: Ruben Fleischer
Drehbuch: Scott Rosenberg u.a.
Score: Ludwig Göransson
DarstellerInnen: Tom Hardy, Michelle Williams, Riz Ahmed


Wertung: 60 %

– Zwei zum Preis von allem: Beliebiger Kompromiss zwischen düsterer Charakterstudie und unmotiviertem Superheldenfilm –


Eddie Brock hat alles: eine wunderschöne Verlobte, eine gute Wohnung in San Francisco und einen erfüllenden Job als investigativer Reporter. Als er jedoch dem Milliardär und Forscher Carlton Drake die falschen Fragen in einem Interview stellt, wird er kurzerhand gefeuert und verlassen. Ganz unten angekommen, erfährt er, dass Drake mit außerirdischen Symbionten Experimente durchführt. Auch Eddie hat es erwischt, er ist infiziert. Wird die fremde Lebensform ihn völlig übernehmen? Verliert er langsam den Verstand?

Also zunächst einmal muss man Venom zugute halten, dass er die Fantasie enorm anregt. Noch während man den Film schaut, fängt das Gehirn nämlich an zu arbeiten und zu überlegen, wie man diese Geschichte hätte besser erzählen können. Denn dass es sich bei Venom um eine erzählenswerte Geschichte handelt, daran brauchen wir nicht zu zweifeln. Es ist eine düstere Geschichte über den Verlust der eigenen Identität, über Kontrollverlust. Eddie ist völlig am Ende, bevor er auf Venom trifft. Er hat die Kontrolle über sein Leben verloren, mehr noch, sie wurde ihm von mächtigeren Menschen entzogen. Wer die falschen Fragen stellt, wird verstoßen. Das allein ist zwar nicht neu, aber dennoch keine schlechte Basis für eine Erzählung. Und zunächst scheint ja auch alles gut zu gehen. Venom beginnt angemessen düster und mit durchaus schöner Kameraarbeit. Die finsteren Machenschaften von Carlton Drake und seiner Life Foundation zeigen uns, dass Menschen, die alles haben, auch alles dürfen. Und dass ewiges Streben nach Neuem nicht unbedingt das ist, was uns gut tut. 

Die Figur des Venom stellt dafür ein hervorragendes Vehikel dar, lässt Anleihen am Horrorkino und Psychothriller zu. Fast hat es sogar den Anschein, als würde Fleischer diesem Weg folgen. Aber dann, tja dann, kommen die finanziellen Interessen ins Spiel. Venom soll natürlich ab 12 Jahren freigegeben werden, also wird hier und dort derart geschnitten, dass der Film eben doch nicht mehr so düster daher kommt, wie er könnte. Ziemlich genau ab dem Zeitpunkt, ab dem Eddie sich ganz seiner Symbiose mit Venom hingibt, macht die Erzählung eine 180-Grad-Wende und fängt nochmal ganz von vorn an. Jetzt aber bitte als lustiger Actionstreifen mit Verfolgungsjagden und One-Linern auf dem Niveau eines – Bitteschön – Zwölfjährigen.

Was habt ihr getan?, will man da schreien und das Popcorn der Leinwand entgegenschmeißen. Spaß, wer kann sich schon Popcorn in einem großen Kino leisten? Der Frust jedoch bleibt bis zum Ende. Dann muss Tom Hardy nämlich sämtliche Register ziehen, um die Figur überhaupt noch zusammenzuhalten. Und das ist bei einer Figur, deren gespaltenes Bewusstsein im Grunde der Schlüssel für seine Superkräfte ist – schon irgendwie ironisch. Aber Niemand hat eben Angst vor einem Tiger, dem man die Krallen gezogen hat. Und so verkommt Venom zu einem schwachen Einheitsbrei, der nicht mal mit guten Effekten überzeugen kann. Die Symbionten wirken wie aus einem Videospiel und im „großen Finale“ kann man vor lauter CGI sowieso nichts mehr erkennen. Das ist schade, denn Ausstattung und Details der Sets lassen erkennen, dass hier einige Leute durchaus mit Leidenschaft an dem Film gearbeitet haben. Umso bedauerlicher, dass Fleischer sich für das World-Building nicht genug Zeit nimmt. Genau genommen nimmt er sich ja für gar nichts genug Zeit, weder die Liebesgeschichte zwischen Eddie und seiner Verlobten, noch den Aufbau des Bösewichts. Hier spüren routinierte Zuschauende jede einzelne Szene, die laut Hauptdarsteller Hardy geschnitten werden musste. Fleischer stellt jedoch zumindest eine längere Version beim DVD-Release in Aussicht, die ab 16 Jahren sein soll. Vielleicht bekommen wir den „echten“ Venom ja doch noch zu Gesicht…

Bis dahin bleibt ein schaler Nachgeschmack, denn gerade die starke erste Hälfte lässt vermuten, welcher Film Venom hätte werden können: ein Film über das Fremde und Andersartige in uns selbst, über die Abgründe des ewigen Fortschritts und die Lust an Zerstörung. Letztlich funktioniert die Symbiose zwischen Eddie und Venom ja schließlich nur deshalb so gut, weil sie zueinander passen. Das bedeutet, Eddie muss anerkennen, dass es die dunklen Seiten seiner eigenen Persönlichkeit sind, die Venom letztlich nur spiegelt. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse wird stattdessen aber schnell externalisiert und so lange vereinfacht, bis sich selbst Captain America schütteln würde vor so viel moralischer Überlegenheit. Am Ende des Films sagt Eddie zu Venom, er dürfe nur die bösen Menschen fressen. Venom stellt die richtige Frage, denn er hakt nach, woran denn der Unterschied zu erkennen sei. Eddie frisst daraufhin den Mann, der seinen Lieblingskiosk regelmäßig überfällt, denn der ist ja böse. Es gibt Erzählungen, da funktioniert dieser verschobene Blick auf die Welt und die Menschen. Der Unterschied bei Venom ist jedoch, dass nicht nur die Figur des Eddie Brock diese Unterteilung vornimmt, sondern der gesamte Film. Wir bekommen sozusagen die moralischen Vorstellungen des Protagonisten aufgezwungen, statt dazu eingeladen zu werden, darüber nachzudenken. Ein Film in dem – verdächtig südländisch aussehende – Räuber es verdient haben, von einem riesigen schwarzen Monster gefressen zu werden, kann daher unmöglich überzeugen. Oder spricht da ein amerikanisches Gerechtigkeitsverständnis heraus?

Es gibt noch einige Stolpersteine mehr, die Venom ins Straucheln bringen, sei es nun das reaktionäre Frauen- und Männerbild, die überhasteten Einführungen interessanter, aber kaum beachteter Figuren oder eben die bereits angedeuteten Schwächen im Dialog. Gegen all das kämpfen sämtliche DarstellerInnen des Films an, allen voran natürlich Tom Hardy, aber auch die können noch so viel paddeln, das Schiff ist bereits untergegangen. Letztlich fühlt man sich wie nach Suicide Squad oder Justice League: Perlen vor die Säue. So viel ungenutztes Potenzial ist liegen geblieben. Bleibt nur zu hoffen, dass erstens der Director’s Cut von Ruben Fleischer bald kommt und zweitens die beiden nächsten Filme, für die Hardy bereits unterzeichnet hat, besser werden. Luft nach oben hätten sie jedenfalls reichlich.

Fazit: Wer einen guten Superheldenfilm sehen will, in dem Identität, das Andere und innere Monstren verhandelt werden, der schaue sich einfach nochmal Split an und warte gespannt auf die kommende Fortsetzung Glass.

In diesem Sinne,
eure J.

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