Blade Runner 2049

Originaltitel: Blade Runner 2049
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Hampton Fancher, Michael Green
Score: Hans Zimmer
Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Jared Leto, Sylvia Hoeks, Robin Wright


Wertung: 95 %

- Keine Kopie, sondern eine selbstbewusste Erweiterung des Blade Runner-Universums, bildgewaltig und überraschend meditativ - 


Los Angeles, 2049: Noch immer erledigen Replikanten die Jobs, auf die Menschen keine Lust haben. Alte Modelle der Tyrell Corporation werden allerdings gejagt und „in den Ruhestand versetzt“, stattdessen hat sich der Industrielle Wallace zum scheinbaren Retter der Menschheit aufgeschwungen. Als jedoch der Blade Runner „K“ in seinem Auftrag ein weiteres älteres Modell aufstöbert, deckt er dabei ein riesiges Geheimnis auf, das einmal mehr die Frage nach dem Menschsein und seiner Grenze zu den künstlich erschaffenen Replikanten aufwirft.

Blade Runner von Ridley Scott ist echter Kult. Und echten Kult fortzuführen, das ist eine Kunst und gelingt fast nie – wie der Regisseur mit seinen neuen Alien-Filmen Prometheus und Covenant bereits am eigenen Leib erfahren musste. Es war daher ein kleiner Genie-Streich, statt ihm selbst das heimliche neue Regie-Wunderkind Denis Villeneuve das Zepter zu übergeben. Denn der weiß nicht nur, wie eine anständige Hommage funktioniert, sondern ist auch selbstbewusst genug, um eine eigene, neue Bildsprache zu finden. Deshalb ist Blade Runner 2049 keine bloße Kopie des Originals, sondern, ebenso wie die Replikanten keine bloße Kopie des Menschen sind, auch etwas Eigenes.

Natürlich strotzt der Film nur so vor Zitaten. Aber anders als beispielsweise bei der Realverfilmung von Ghost in the Shell sind diese Zitate nicht möglichst genaue Nachbildungen, die letztlich nicht mehr sind als ein Schrein zum Anbeten eines früheren, viel größeren Werkes. Sie sind elegante, kleine Verbeugungen und fungieren zudem als ideale Bildbrücken hin zum Vorgänger, um so ein stimmiges, in sich geschlossenes Filmuniversum zu kreieren. Blade Runner 2049 ist kein Remake und kein Reboot, sondern ein einfaches Sequel, eine nahtlose Fortsetzung. Und die funktioniert deshalb so gut, weil sie nicht gegen den Willen oder über den Kopf des Schöpfers Ridley Scott hinweg durchgesetzt wird, sondern mit ihm zusammen als Produzent. Das verleiht ihr eine Geschlossenheit, die sonst nur über Drehs ohne Pause und Crew-Wechsel (wie es damals für den Herrn der Ringe gemacht wurde) möglich sind. Gleichzeitig sind spürbar 30 Jahre vergangen: Die Stadt, die Menschen und ihre Technik haben sich weiterentwickelt. Nicht so sehr, dass es unglaubwürdig scheint, aber eben genug, um Villeneuve gewisse Freiheiten in der Umsetzung zu erlauben. Während Blade Runner noch beinahe in ständiger Finsternis und in ständigem Regen spielte und so zum modernen Film Noir avancierte, erblicken wir bei 2049 immer wieder das Tageslicht. Der Plot dehnt sich aus, spielt auch außerhalb dieses gefräßigen Molochs, den sie Los Angeles nennen. Dadurch kann Villeneuve mit neuen Farbpaletten spielen und fügt neue Aspekte hinzu, statt die alten nur zu reproduzieren. Gleichzeitig ist es konsequent, die Ästhetik und Technik des fiktiven Jahres 2019 weiter zu spinnen, statt alles von unserem realen Jahr 2017 aus weiterzudenken. So sieht K’s Auto immer noch aus, als sei es in den Achtzigern produziert worden, außerdem fliegt es immer noch, obwohl kein Mensch ernsthaft daran glauben würde, dass wir in 32 Jahren fliegende Autos haben werden. Unsere Jetzt-Zeit spielt für das vorhandene Filmuniversum keine so große Rolle. Die Aussagen bleiben dennoch allgemeingültig und berührend.

Was er noch richtig macht, also, neben den außergewöhnlichen Sets, den grandiosen Effekten und dem ruhigen Erzähltempo? Er gibt keine unbefriedigenden Antworten auf vorher gestellte Fragen. Ist Deckard ein Mensch oder ein Replikant? An diesem grandiosen Rätsel dürfen wir weiter tüfteln. Ebenso dünn bleibt die Trennlinie zwischen Mensch und Replikant als solche, da Villeneuve ihr einen neuen Aspekt beifügt, der hier nicht genauer besprochen werden soll. Was macht uns zum Menschen? Und: Ist es wirklich wichtig, eine Grenze zwischen uns und unserer Schöpfung zu ziehen? Was passiert, wenn diese Grenze endgültig verschwindet? K’s Vorgesetzte, zurückhaltend gespielt von der anbetungswürdigen Robin Wright, meint die Antwort zu kennen: Chaos, Krieg. Aber stimmt das? 

Womit wir bei den DarstellerInnen wären. Ryan Gosling beweist endlich mal wieder, dass er kein reiner Hollywood-Schönling ist, sondern tatsächlich schauspielern kann. Seine Figur wird durch zahlreiche Identitätskrisen geschleudert, und jede kann man ihm glauben. Dank seines gebrochenen, melancholischen Spiels schmerzt es nicht, dass er zwar die Haupt-, nicht jedoch die wichtigste Figur der erzählten Geschichte ist. Überraschend einprägsam – trotz des kurzen Auftritts – ist auch Dave Bautistas Darstellung des sanften Riesen Sapper Morton, den K zu Beginn der Handlung aufspüren und pensionieren soll. Dagegen wirkt er als Drax the Destroyer in Guardians of the Galaxy enorm überzeichnet, fast verheizt. Es bleibt spannend, was wir von dem Wrestler und MMA-Kämpfer (Kampfgewicht: zwischen 120 und 132 kg) noch alles erwarten dürfen. Ich für meinen Teil würde die Erwartungen jedenfalls nicht zu niedrig schrauben. Dagegen kann der ätherische Jared Leto nicht ganz überzeugen. Zwar fehlt es ihm nicht an glaubhaften Allmachtsphantasien und Gottkomplexen, aber darüber hinaus kann er dem Industriellen Wallace leider keine weitere Facette hinzufügen. Auch wenn das teilweise dem Drehbuch geschuldet ist, bleibt Wallace ein ernüchternd eindimensionaler Superbösewicht, der der Komplexität anderer Figuren nicht das Wasser reichen kann. Eine interessante Entdeckung für die große Leinwand ist dagegen die Niederländerin Sylvia Hoeks, die diesmal den bösen Killer-Roboter mimen darf. Für Robin Wright als K’s Vorgesetzte „Madam“ Joshi hätte man sich allerdings etwas mehr screentime gewünscht.

Was gibt es zu kritisieren? Von außen betrachtet wirft der Film ein nicht ganz einfaches Frauenbild auf. Auf den ersten Blick haben wir es mit einer Fülle an menschlichen, künstlichen und sogar digitalen Frauencharakteren zu tun, die eine Bandbreite an Persönlichkeiten darstellen: Lieutenant Joshi als kühle, pflichtbewusste und androgyne Polizistin, K’s digitale Gespielin Joi als naives, aber treues und selbstreflektiertes Betriebssystem (Her lässt grüßen), die Replikantin Luv als hassgesteuerte Kampfmaschine und die Erinnerungs-Designerin Dr. Stelline als kreative Schöpferin perfekter Welten, die in ihrer eigenen, echten Welt völlig gefangen ist. Schaut man aber etwas genauer hin, agiert keine dieser Figuren ohne festen Bezug zu den männlichen Protagonisten K, Deckard und Wallace – weshalb Blade Runner 2049 leider auch nicht den Bechdel-Test bestehen würde: Immer, wenn die weiblichen Figuren unter sich sind, unterhalten sie sich über einen Mann. Und obwohl die Liebessequenz zwischen K, Joi und der für die körperlichen Ebenen zuständigen Prostituierten Mariette angenehm verhalten und mit genialen Effekten gefilmt wurde, lässt Villeneuve auch immer wieder den männlichen Blick auf den nackten Frauenkörper zu. Nicht auf den Menschen, sondern auf hilflose Replikanten, gigantische Hologramme oder gespenstische Plastiken. Aber während in Blade Runner von 1982 noch Harrison Ford sein Shirt ausziehen musste, dürfen sämtliche Männer der Fortsetzung ihres anbehalten. Das ist in Hollywood eigentlich ein etwas zu alter Hut: nackte Frauen, ja, nackte Männer, nein. Darüber ist die aktuelle Bildsprache längst hinweg. Warum Villeneuve in diese Falle getappt ist, bleibt unverständlich. Bei der vorhandenen Fülle an präsentierten Weiblichkeiten wäre Platz für mehr Selbstbestimmtheit gewesen.

Gelegentlich kann auch der alte Bekannte Hans Zimmer nicht seinen eigenen Versuchungen des Pathos widerstehen. Wo Vangelis 1982 gänzlich neue, ätherische Klangwelten schuf, gleitet Zimmer immer wieder in seine gewohnte Übergröße ab. Darüber täuscht auch nicht die Verwendung ungewöhnlicher Instrumente und Geräusche hinweg. Etwas weniger wummernder Bass hätte es hier auch getan.

Darüber hinaus muss wohl die Zeit entscheiden, ob es sich bei Blade Runner 2049 einfach nur um einen sehr guten Film handelt (denn das ist er definitiv!), oder um ein weiteres Meisterwerk. Denn natürlich sind die Themen, der meditative Rhythmus und die Musik leider nicht mehr neu, wie es 1982 noch der Fall war. Auch fehlt es Villeneuve an der extrem offenen, metaphorischen Bildsprache. Der Film ist ist oft logischer und stringenter als sein Vorgänger, was durchaus positiv gesehen werden kann. Dadurch verengt er allerdings auch ein wenig den vorhandenen Interpretationsspielraum. Durch die strikte Weigerung, auch nur eine der großen Fragen zu beantworten, umschifft er aber gekonnt jede Plattitüde. Und wenn wir ehrlich sind, schuf Scott in seinem Blade Runner ja auch gern mal Tiefe, wo eigentlich keine war (man denke nur an das mysteriöse „Tannhäuser Tor“, das zwar gewichtig und vielschichtig klingt, allerdings keine bedeutungsschwangeren Bezüge zur realen Welt hat). Das hat Villeneuve nicht nötig.

Fazit: Blade Runner 2049 ist ein würdiger Nachfolger des Meilensteins von 1982 und eine konsequente Fortsetzung. Aktuelle Kinogänger dürfen einen ruhigen Erzählrhythmus genießen, der sich Zeit für seine Figuren und sein Setting nimmt. DarstellerInnen, Effekte und Handlung überzeugen auf ganzer Linie, lediglich neu sind die Ideen nicht mehr.

In diesem Sinne,

eure J.

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