Westworld

Originaltitel: Westworld
Regie (Pilot): Jonathan Nolan
Drehbuch (Pilot): Jonathan Nolan
Score: Ramin Djawadi
Darsteller: Evan Rachel Wood, Ed Harris, Anthony Hopkins, Thandie Newton


Wertung: 99 %

- Absolut mitreißendes Rätsel um die Natur des Menschlichen, verpackt in Western und Science-Fiction gleichzeitig -


Die - nicht allzu weit entfernte - Zukunft: Westworld ist ein Vergnügungspark der ganz besonderen Art. Für viel, viel Geld kann man hier in einer Westernstadt und deren weitläufiger Umgebung ein paar Tage der Welt da draußen entfliehen. Man jagt Verbrecher, verführt schöne Bardamen oder rettet Farmerstöchter aus ihren Nöten. Oder man knallt alle ab, vergewaltigt und mordet, wie es gerade passt. Die Einwohner und Einwohnerinnen des Parks lassen all das mit sich machen. Es sind Androiden, sogenannte Hosts, die des nachts wieder repariert werden. Nachdem ihr Gedächtnis gelöscht wurde, kehren sie in die für sie vorgesehene Storyline zurück und alles geht wieder von vorn los. An die Gräueltaten der BesucherInnen erinnern sie sich nicht mehr. Aber was, wenn doch?

Was machen wir jetzt nur bis 2019? Die sieben Staffeln Game of Thrones wieder und wieder schauen? Vielleicht. Aber man könnte auch einer neuen Serie eine Chance geben. Und Westworld hat diese Chance mehr als verdient. Warum? Nun, erst einmal stammt die Geschichte ursprünglich von Michael Crichton, dem Autor von Jurassic Park. Nun stelle man sich das Ganze statt mit Dinosauriern mit Robotern vor, die so menschenähnlich sind, dass man sie schon aufschneiden muss, um den Unterschied zu erkennen. Und statt fröhlicher Klänge von John Williams hören wir die unversöhnlichen Klaviermelodien von HBOs Haus- und Hofkomponist Ramin Djawadi, der schon unserer Lieblings Drachen-und-Ritter-Serie ein unvergessliches Thema schrieb. In Westworld wird genauso viel getötet (vielleicht sogar noch mehr, definitiv aber hemmungsloser und erschreckender) und herumgehurt wie in Westeros, nur retten uns keine Fantasy-Elemente in die wohlige Welt der Fiktion. Stattdessen: Wissenschaft, die (noch) Fiktion ist – Science Fiction. Es hat seinen Grund, warum dies das Genre der Serie von Christopher Nolans Bruder ist. Denn mit Science Fiction ließ sich schon immer am besten über die Natur des Menschen nachsinnen. Und die menschenähnlichen Hosts sind das perfekte Vehikel für die grundlegenden und spannenden Fragen der Serie: Was macht uns zum Menschen? Was ist unsere „wahre“ Natur? Und: Was tun wir einander an? 

Wer Christopher Nolan als seinen Lieblingsregisseur nennt, der vergisst oft, dass er auch deshalb so großartige Geschichten erzählt, weil die Drehbücher von seinem Bruder Jonathan stammen. HBO gab ihm nun nicht nur die Chance, die Drehbücher der ersten und letzten Folge der Serie zu schreiben, sondern auch Regie zu führen. Und das führt dazu, dass wir es bei Westworld nicht mit billiger Effekthascherei zu tun haben, sondern mit Fernsehen, das unsere ganze Aufmerksamkeit fordert. Es gibt keine unnötigen erklärenden Dialoge, keine nackte Haut, wo sie nicht eine tiefere Geschichte erzählt und vor allem: keine Versöhnung. In der Westworld sind wir die Bösen. Und je ähnlicher uns die Hosts werden, desto böser werden auch sie. Nolan schafft es, sämtliche dieser Themen und Qualitäten der Serie bereits in der ersten Folge zu offenbaren. Und dennoch bleibt die Entwicklung der einzelnen Charaktere – insbesondere der künstlichen – spannend bis zur letzten Minute. Es gilt, Rätsel zu lösen, Verbündete zu finden und Feinde zu besiegen, wie in jedem guten Abenteuer. Die Serie bietet so die perfekte Mischung aus feingeistiger Dystopie und Unterhaltung.

Das liegt aber nicht nur an Drehbuch und Regie, sondern auch an der Ausstattung. Zwischen 1,5 und 2,2 Millionen US-Dollar kostet eine Folge. Und das sieht man an genau den richtigen Stellen. Der Park selbst ist, eben so wie von den BetreiberInnen beabsichtigt, bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Es gibt keine „Kulissen“, sondern eine komplette kleine Welt, samt mechanischen Pferden, Bisons und Schlangen. Wird ein neuer Canyon benötigt, wird er eben gebaut. Das ist eine schöne Anspielung auf die Natur von Filmen und Serien, aber auch auf den ihnen innewohnenden Kontrollzwang. Für „echte“ Lebewesen ist in dem Park kein Platz, da sie immer ein Stück weit unberechenbar bleiben. Die künstliche Umgebung bringt dann das wahre Gesicht der Menschen hervor: Wo keine Konsequenzen drohen, wird gefoltert, vergewaltigt und gemordet. Da dieser Ansatz allein wohl etwas sehr deprimierend wäre, gibt es aber natürlich noch eine Ebene darunter. Der Grund, aus dem der Park gebaut wurde, ist nicht der, die Menschen zu amüsieren, sondern sie zu analysieren und der Natur unseres Mensch-Seins auf die Spur zu kommen. Faszinierend sind dabei besonders die Effekte, mit denen die Mechanik der Hosts gezeigt wird – nicht ihre inneren Bauteile, sondern ihre Bewegungen, wenn sie Fehlfunktionen haben. Die Unterhaltung zwischen dem Entwickler Bernard und einem fehlerhaften Host in der ersten Folge ist dafür ein Paradebeispiel. Kleinste Bewegung, Zuckungen und „Kanten“ in der Bewegung des Darstellers vermitteln einen so vertrauten und gleichzeitig fremdartigen Eindruck, dass man sich wirklich fragt: Wie haben die das gemacht? Davon abgesehen sind sämtliche Kulissen, sei es nun im Park oder in den Laboren, über jeden Zweifel erhaben.

Wie die DarstellerInnen der Hosts, allen voran Evan Rachel Wood, immer wieder von  menschlichen Gefühlen zu völliger Apathie und Starre verfallen, ist zutiefst beeindruckend. Gebt dieser Frau einen Golden Globe! Bei jedem Schritt, den ihre Rolle, der Host Dolores, tiefer in sich selbst reist und sich ihres Daseins bewusst wird, fiebern wir mit. Jeder Schritt ist so überzeugend gespielt, dass man als ZuschauerIn nicht eine Sekunde aus der Handlung treten mag. Und dabei sind es oft kleinste Gesten, wie das Erschlagen einer Fliege, die  Einblicke in tiefe Abgründe ermöglichen. Daneben ist es extrem befriedigend, Sir Anthony Hopkins mal wieder in einer angemessen komplexen Rolle zu sehen. Seine Darstellung des geheimnisvollen Parkgründers Dr. Robert Ford lässt dann auch ganz schnell vergessen, dass wir ihn in einem Transformers-Film sehen mussten. Dennoch bleiben die nicht-menschlichen (?) Figuren die emotionalen Dreh- und Angelpunkte der Handlung und bieten oftmals mehr Identifikationsmöglichkeiten als ihre Pendants aus Fleisch und Blut, die vor allen Dingen durch Grausamkeit, wenigstens aber Raffgier und Ehrgeiz gekennzeichnet werden. Der Mensch mag dem Mensch kein Wolf mehr sein, seiner eigenen Schöpfung gegenüber ist er es aber schon (auch schön: Ed Harris als mysteriöser Mann in Schwarz).

Fazit: Wer sich bis zur achten Staffel von Game of Thrones retten will, sollte jetzt mit Westworld beginnen, denn die zweite Staffel ist bereits für 2018 angekündigt. Ähnlich wie True Detective nutzt auch Westworld die Möglichkeiten einer Serie voll aus, ohne in deren Fallen zu tappen: Die Handlung ist spannend, tiefsinnig und von der ersten bis zur letzten Folge konsequent durchdacht. Effekte, Ausstattung und schauspielerische Leistung sind in jeder Sekunde extrem hochwertig. Von dieser Hingabe und dem Sinn für innere Logik und Kohärenz könnte sich so mancher durchschnittliche Kinofilm noch eine Scheibe abschneiden.

In diesem Sinne,

eure J.

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