Abstecher: Hungern für den Oscar

Ja, es mag enttäuschend sein: heute keine Kritik, kein Film, keine Prozent. Stattdessen möchte ich über etwas schreiben, das mich seit mehreren Jahren stört und auch beängstigt, nämlich den neuen Körperwahn der Filmindustrie, insbesondere natürlich der nordamerikanischen. Und ich meine damit zwei auf den ersten Blick recht unterschiedliche Phänomene, die aber letztlich auf das gleiche abzielen, nämlich den Oscar fürs Hungern und die Muckis für… naja, letztlich alles andere. 

Fangen wir mit den Muckis an. Ungefähr seit immer bringen sich SchauspielerInnen in Form, wenn es dran geht, einen Film zu drehen. Bis heute bauschen sensationsgeile JournalistInnen mit dem moralischen Kompass einer Erdnuss Fotos aus dem Alltag unserer „Stars“ wahlweise als „Magerwahn“ oder „überflüssige Pfunde“ auf – wenn sie entweder feststellen, dass Menschen, um auf der Leinwand schlank auszusehen, im echten Leben krass dünn sein müssen oder eben andernfalls enttäuscht feststellen, dass nicht jeder Mensch Zeit seines Lebens 45 Kilo wiegt, sondern so ein Körper eben doch auch aus Fett besteht (alles rund um ein Viertel des Körpergewichts ist übrigens völlig normal). Die Körper von Schauspielern, und vor allem von Schauspielerinnen, werden immer und überall bewertet und kommentiert. Entweder sind sie zu dick und daher Zeichen der fehlenden Disziplin oder aber zu dünn und daher dem psychischen Druck der Industrie nicht gewachsen. Manche haben auch Glück und bekommen dann einen „Traumkörper“ bescheinigt, was die überwältigende Masse der LeserInnen des entsprechenden Mediums, das diesen Schein ausgestellt hat, in Verzweiflung stürzt. Über Photoshop sprechen wir ja noch gar nicht.

Soweit, so bekannt. Was aber relativ neu ist und vor allem der Superhelden-Flut im Kino geschuldet, sind die neuen (Muskel-)Massen von gestählten Körpern. Zu fast jedem Schauspieler lässt sich inzwischen ein Video auf YouTube finden, das sich „How X got ripped to play Y“ nennt und in dem dann minutenlang erklärt wird, dass man für Muskelaufbau krass hart trainieren und eigenartig essen muss, gern zehn Kilo Pute plus fünf Kilo Brokkoli am Tag. Die stehen natürlich alle wahnsinnig auf Bewegung und „gesunde“ Ernährung, unsere Stars, ist klar. Am Set wird dann zwischen den Requisiten auch brav trainiert, am besten zwischen jedem Dreh. Ist es bewundernswert, wenn Menschen sich so derart mit Haut und Haar ihrem Beruf widmen? Wenn sie, um Superman sinnvoll verkörpern (!) zu können, trainieren, bis sie aussehen wie ein behaarter Fleischklops? Ich habe letztens gelesen, dass Dwayne „The Rock“ Johnson nicht mal die Arme vor der Brust verschränken kann, wenn er richtig „in shape“ ist. Das, wofür Bodybuilder bis vor kurzem noch milde belächelt wurden, wälzt sich nun Jahr für Jahr über die Kinoleinwand. Und wir gewöhnen uns dran. Es wird normal, dass Darsteller „nochmal 5 Kilo Masse" draufpacken, um eine Rolle zu übernehmen. Es wird normal, dass Männer ein Sixpack und einen Bizeps haben, der den Umfang meines Kopfes hat. Böse will Frau da anmerken: Das habt ihr jetzt davon. Jahrzehntelang durfte keine Frau mit einem Körperfettanteil von fünf Prozent oder mehr vor die Kamera, jetzt sind halt auch die Männer dran. Nur, dass die eben, um die zunehmende Bedeutungslosigkeit von Geschlechterrollen zu unterlaufen, ein echter beef cake werden müssen. Es ist schon erstaunlich, dass sich die gefühlte Mehrheit der Menschen für Gleichstellung und neue Aufgabenverteilung ausspricht, dabei aber gleichzeitig Männer wieder Vollbart tragen und sich auf handliche Schrank-Breite trainieren. Frauen dürfen dann natürlich nicht genauso aussehen. Genauso fit sein, ja bitte, aber genau solche Muskeln, igitt. "Stark ist das neue Sexy", titelte vor einiger Zeit die renommierte Fachzeitschrift Women’s Health, und zeigte auf den Seiten ihres Magazins stinknormale Magermodels, bei deren Belichtung das Schattenspiel einige Sehnen erkennen ließ. Wer „echte“ Sportlerinnen kennt oder schon mal gesehen hat, der weiß: Auch Frauen bauen Muskeln auf, insbesondere in Kraftsportarten wie Boxen, Gewichtheben, Bouldern (Alex Pucchio’s Oberarme sind breiter als ihre Beine), Kugelstoßen, Turnen… die Liste ist lang. Und ich meine nicht so zarte Müskelchen, wie sie Hollywood gern hat, sondern ordentlich Fleisch. Kreuz, Oberschenkel, Bizeps. Das ist dann aber Bitteschön nicht mehr weiblich genug und sollte deshalb tunlichst vermieden werden. Wenn Männer wie Frauen aussehen, gehen sie in die Modeindustrie. Wenn Frauen wie Männer aussehen, sind sie unattraktives Mannweib-Material. Deshalb wird für die aktuelle Wonder Woman auch eine super dürre Miss Israel gecastet, die sich dann fünf Kilo Muskelmasse antrainieren darf, weil sie damit immer noch wesentlich „weiblicher“ aussieht als ein normaler Frauenkörper mit Muskeln (von der schauspielerischen Leistung von Gal Gadot reden wir hier nicht, die war nämlich erfrischend. Sie kann ja nix dafür, dass sie so dünn ist). 

Mann, regt mich das auf. Aber wen sowas stört, der sollte sich vielleicht nicht so viele Superhelden-Filme anschauen und wenn doch, dann eben die alten Superman-Filme mit Christopher Reeves. Kommen wir zu dem zweiten und noch wesentlich verstörenderen Trend: The Oscar goes to… the starving Gentleman (or Lady). Damn you, Matthew McConauhey, dafür, dass du dich für Dallas Buyers Club so runtergehungert hast! Hungern ist kein neuer Trend in Hollywood, aber Hungern aus künstlerischen Gründen schon. Irgendwie ging der Kelch an den meisten ja nochmal vorüber, nachdem Adrien Brody es durch Hungern und Obdachlosigkeit geschafft hatte, sich den Oscar für Der Pianist zu holen. Aber dann kam Dallas Buyers Club und zeigte: Ein flapsiger Frauenheld muss nur aufhören zu essen und schon wird ein seriöser Schauspieler aus ihm. Ich hätte Matt und Jared auch mit fünf, sechs Kilo mehr geglaubt, dass sie an Aids sterben. Ich hätte Christian Bale in Der Maschinist auch mit zehn Kilo mehr geglaubt, dass er an Schlaflosigkeit leidet (statt ständig unangenehme KZ-Assoziationen ertragen zu müssen). Stattdessen glaubt jetzt jeder (aktuelles Opfer: Brad Pitt), nochmal seine Oscar-Chancen aufpolieren zu können, wenn er sich bloß auf beängstigendes Gewicht runterhungert. Method Acting hin oder her: Schauspielerei, war das nicht das, wo man so tut als ob? Wo Make-Up und Kamera-Einstellungen dabei helfen, den richtigen Eindruck zu vermitteln? Nö, heute machen das die SchauspielerInnen lieber wieder selbst und merken dabei nicht mal, dass sie bloß ihrem narzisstischen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit huldigen. Die Katze beißt sich da in ihren eigenen Schwanz. Oder was ist davon zu halten, dass Lily Collins, eine durch und durch schlanke junge Frau, für einen Film über Magersucht extrem an Gewicht verliert? Keiner der Verantwortlichen, Miss Collins eingeschlossen, hat wohl darüber nachgedacht, welchen Effekt diese Art von Publicity auf Betroffene haben kann: Für die Kunst hungert sie. Es geht ihr gut, sie hat es – wie im Trailer zu dem entsprechenden Film To the Bone auch gesagt wird – unter Kontrolle. Der Film mag zeigen, dass das eine Lüge ist. Dass das Leben lebenswerter ist, wenn man isst, ohne darüber ständig nachzudenken (das macht er sogar auf berührende Weise). Die Realität jedoch zeigt etwas anderes: Wenn du es nur willst, kannst du so viel abnehmen, wie nur möglich. Irgendwann nimmst du wieder ein bisschen zu und alles ist gut. Statt also ein Statement gegen Magersucht abzuliefern, wie es sicherlich die Intention des Films ist, befeuern diese „Stars“ genau das Gegenteil. Nicht mehr nur Schlank-Sein hilft der Karriere (wobei ich es schon immer erniedrigend fand, was in Hollywood so als „schlank“ gilt), sondern Hungern. Reines, zerstörerisches Hungern (Jared Leto hat seit den Dreharbeiten zu Dallas Buyers Club Gicht. Er konnte während des Drehs teilweise nicht mal zu Fuß gehen, sondern wurde in einem Rollstuhl zum Set gefahren). Und davon betroffen sind irritierenderweise eher Männer als Frauen. Vielleicht, weil dünne Frauen schon zu normal geworden sind, um noch damit Aufmerksamkeit zu erregen. 

Es bleibt spannend, wie lange diese Trends noch anhalten, was sie aber gemeinsam haben ist, dass sie den Körper zu einer völlig kontrollierbaren Ware machen. Für jeden Anlass gibt es das passende Körperbild: Du willst ein Actionstar sein? Dann trainier gefälligst sechsmal pro Woche und schieb dir kiloweise Fleisch rein (und denk am besten nicht über die ökologischen Folgen dieses Trends nach). Du willst ein ernstzunehmender Charakter-Darsteller sein? Dann hungere einfach ein paar Monate, der Oscar kommt von ganz allein. Wie gut muss man eigentlich schauspielern können, um so abgemagert einen verzweifelten Menschen zu spielen? 

Also, liebes Hollywood: Kümmere dich doch bitte wieder mehr um die Leistung deiner Stars und weniger um ihr Körpergewicht oder ihren Muskelanteil. Danke.

In diesem Sinne,

eure J.

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