Special: Warum Hitler in Inglorious Basterds sterben darf. Rezeptionsgeschichte durch Filmanalyse.

Zeit für ein wenig Abwechslung! Daher möchte ich heute keinen speziellen Film besprechen, sondern mich einem Thema widmen, das mir selbst auch sehr am Herzen liegt: den Historienfilmen. Als Kulturwissenschaftlerin und angehende Historikerin fasziniert mich vor allem, wie breit gefächert die Aussagen sind, die ein einziger Film zu einer historischen Begebenheit oder einem historischen Akteur treffen kann. Fiktion und Fakten bilden zusammen mit entsprechenden gestalterischen Mitteln eine ganz eigene historische Narrative, die sich grundlegend von der klassischen Geschichtswissenschaft, Dokumentationen oder populärwissenschaftlichen Arbeiten unterscheidet.
 
Wie kein zweites Medium kann ein Film – schon allein aufgrund der Masse an Menschen, die an ihm beteiligt sind – Aussagen über das Rezeptionsverhalten seiner Zeit treffen: Werden bestimmte Persönlichkeiten positiv oder negativ dargestellt? Welche Eigenschaften werden mit ihnen assoziiert? Interessierten sich die Macher eher für historische Fakten und Quellen oder verändern sie absichtlich die Geschichtsschreibung? Denn: So viele Genres es in der Filmwelt gibt, so viele Arten von Historienfilmen gibt es natürlich. 
 
Aber was ist ein Historienfilm eigentlich? Die Forschung unterscheidet dabei generell zwei Arten, nämlich Filme mit historischen Themen und Figuren, die in der Gegenwart entstanden sind sowie Filme, deren Entstehungszeitraum selbst bereits in der Geschichte liegt (Mischformen sind dabei natürlich auch möglich, um das Ganze noch etwas komplizierter zu machen). In diesem Special soll es vor allem um Ersteres gehen. 
 
Warum lohnt es sich, sich mit Rezeptionsgeschichte anhand von Filmen zu beschäftigen? Zum Einen stellen Historienfilme einen sehr greifbaren und gut analysierbaren Teil unserer Erinnerungskultur dar. Sie beeinflussen, wie Menschen historische Ereignisse und Akteure wahrnehmen. 1978 war es die amerikanische Mini-Serie Holocaust, die den Bürgern Westdeutschlands endlich ihre eigene Vergangenheit näher brachte. Obwohl in der Serie einige kleinere und größere Sachfehler begangen wurden und den Regisseuren allgemein vorgeworfen wurde, aus der Judenverfolgung eine Seifenoper zu machen, hatte die Ausstrahlung weitreichende Folgen für ihre Zuschauer. Wer sich – zumindest in der BRD - 1967 dem Essay-Band Die Unfähigkeit zu trauern von den Mitscherlichs noch entziehen konnte, schaltete Ende der Siebziger dennoch den Fernseher ein. Die schlichte Emotionalität und Visualität der Serie waren es, die die Menschen flächendeckend berühren konnten – Fähigkeiten, die historischen Darstellungen eher abgehen (bzw. von diesen weder erwünscht noch intendiert sind). 

Die pure historische Korrektheit der Darstellung ist bei einem Historienfilm zweitrangig. Wie bereits bei meiner Kritik zu The Imitation Game erwähnt, ist es überflüssig, sich an historischen Fehlern in Filmen aufzureiben (wie es z.B. die Historikerin Alex von Tunzelmann in ihrer Beitragsreihe „reel history“ für den Guardian immer wieder gern tut). Das Bewusstsein über den Unterschied zwischen filmischer Interpretation und historischer Quelle ist natürlich unabdingbar. Sich bei einer Analyse aber nur darauf zu beschränken verstellt den Blick für die Rezeptionsmechanismen des Films. Das wiederum bedeutet, sich so vielen Ebenen eines Films zu verschließen (Kamera, Motage, Licht, Darsteller, Musik, Dialog...), dass es fast unmöglich wird, ihn überhaupt angemessen zu interpretieren.

Das verlangt natürlich Mut und ein gewisses Grundvertrauen ins Publikum. Und damit sind wir bei einem ganz grundlegenden Dilemma: Traut man den Zuschauern zu, zwischen Rezeptionsverhalten (sprich: filmischer Realität) und historischen Fakten zu unterscheiden? Oder hält man es für unabdingbar, sie an die Hand zu nehmen und ihnen diesen Unterschied zu erklären? Konzepte, wie Tunzelmann sie verfolgt, werden von der Furcht genährt, zwischen Historie und kollektiver Erinnerung entstehe eine unüberbrückbare Diskrepanz – welche ja nicht ganz unbegründet ist. Wie viele Menschen assoziieren nach wie vor das Mittelalter mit der Hexenverfolgung der Frühen Neuzeit? Aber eben genau solche Phänomene kann die Rezeptionsgeschichte erklären. Für sie ist ein historisch völlig inkorrekter Film (wie Inglorious Basterds zum Beispiel) eine wertvolle Quelle zum Geschichtsverständnis unserer Zeit. 
 
Man kann einem Regisseur nicht vorschreiben, in welcher Weise (wissenschaftlich fundiert oder völlig fiktiv) er sich mit einem historischen Thema auseinandersetzt. Das wäre Beschränkung künstlerischer Arbeit. Das wäre die logische Konsequenz aus Tunzelmanns Haltung. Letztlich rüttelt die Frage, ob eine filmische Darstellung historisch korrekt ist oder nicht auch ganz grundlegend am Kern der Geschichtswissenschaft. Denn was ist historisch korrekt? Wir wissen es nicht. Jedes historiographische Werk stellt nichts weiter als einen Näherungswert dar, eine Narrative, auf die sich ein unterschiedlich großes Kollektiv von Historikern geeinigt hat. Und wie alles andere auch ist es ein Kind seiner eigenen Zeit. Wie objektiv und nachverfolgbar ein Autor auch immer arbeiten will, er kann letztlich doch nur aus seiner eigenen Perspektive schreiben. Und während sich der Historiker dabei an Quellen und wissenschaftlichen Methoden orientiert, richtet der Regisseur zusammen mit den zahlreichen Mitwirkenden eines Films seinen Blick auf Emotionen und Erzählweise. Welche Aussage getroffen werden soll ist hierbei die entscheidende Frage. Und letztlich ist es auch das, wonach ein Werk (sei es nun filmisch oder literarisch) untersucht werden sollte. 

In diesem Sinne,
eure J.  

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