Feuchtgebiete versus City of Bones

Originaltitel: Feuchtgebiete / The Mortal Instruments: City of Bones
Regie: David F. Wnendt / Harald Zwart
Drehbuch: Claus Falkenberg, David F. Wnendt / Jessica Postigo
Score: Enis Rotthoff / Atli Örvarsson
Darsteller: Carla Juri, Axel Milberg, Christoph Letkowski / Lilly Collins, Jamie Campbell Bower, Jonathan Rhys Meyers, Lena Headey, Kevin Zegers


Wertungen: 50 % / 60 %

- Zwei Coming-of-Age-Geschichten, denen es an Verbindung zur Realität und Schamgefühl fehlt -

Auf den ersten Blick scheinen sie nichts gemeinsam zu haben: Helen Memel, die 18-jährige Heldin der Feuchtgebiete und Clary Fray, die unfreiwillige Dämonenjägerin in New York. Doch der Eindruck täuscht. Tatsächlich laufen beide Filme so zielstrebig auf das Gleiche hinaus, dass ich hier einen Clash stattfinden lassen möchte. In diesem Sinne: Mögen die Spiele beginnen!

Was also haben ein Film über Körperflüssigkeiten und ein Hogwarts für pubertäre Girls gemeinsam? Zum Einen die Grundthematik: Beide erzählen Geschichten über das Erwachsenwerden, über Entwicklung, Veränderung und Bearbeitung der eigenen Vergangenheit. Beide schlagen dabei ungewöhnliche Wege ein. Während sich Helen Memel durch eine Reihe menschlicher Ausscheidungen schleckt, um am Ende ihre große Liebe zu finden, wird Clary Dämonenjägerin, um – wie soll es auch anders sein – ihre große Liebe zu finden. Beide Filme spielen mit einer Art Parallel-Universum. Bei City of Bones handelt es sich um eine greifbare, fantastische Welt voller Fabelwesen und schlechter Dialoge. Feuchtgebiete entführt den Zuschauer hingegen in eine mikrobielle Parallel-Welt, nämlich die der selbst proklamierten fehlenden Hygiene.

Beide Filme schaffen es nicht, den Zuschauer für sich völlig gefangen zu nehmen, obwohl sie das Potenzial dazu hätten. Charlotte Roche behauptete bereits in ihrer Romanvorlage, sie wende sich gegen eine Gesellschaft der Hygiene-Fanatiker und wolle das Selbstbild der Frau wieder in eine natürlichere Richtung lenken. Beides widerspricht der Handlung, die im Film sehr literaturnah wiedergegeben wird: Zwar scheut sich Helen nicht davor, die Brillen öffentlicher Toiletten mit ihrem Geschlechtsteil abzuwischen – aber ihre bakterielle Unerschrockenheit beschränkt sich letztlich doch auf Körperflüssigkeiten, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit Sex stehen. Alles weitere – Schweiß, Urin, Kot – bleiben entweder unerwähnt oder werden nicht anders dargestellt als es in anderen Filmen der Fall wäre. Zudem verletzt sich Helen bei einer ungeduldigen Intimrasur, also einer durch und durch gesellschaftskonformen Handlung. Die ständigen Nackt- und Nahst-Aufnahmen scheinen sowieso nur durch eine Schauspielerin tragbar, die mit ihrer Figur locker Supermodel werden könnte. Wie Frau Roche auf die Idee kommt, mit einem solchen Film würde das Selbstwertgefühl normaler Frauen gestärkt, bleibt schleierhaft.

Ähnlich verhält es sich mit Clary. Ihre Figur wurde derart schablonenhaft angelegt, dass sie keinen erkennbaren Charakter zu haben scheint. Zumindest dieser Punkt geht an Helen Memel, denn die hat ein derart nerviges Auftreten, dass man doch nie recht warm mit ihr wird. Hier fungiert Clary zumindest als Leinwand, auf die junge Zuschauerinnen ihre eigenen Empfindungen und Wünsche projizieren können.

Eine weitere Gemeinsamkeit stellt die visuelle Qualität dar, mit der die Filme arbeiten. Die Kameraarbeit von Jakub Bejnarowicz in Feuchtgebiete erfreut das Cineasten-Auge mit ungewöhnlichen, interessanten Kamerafahrten, Ein- und Ausblenden und einem pikanten Entlangschrabben an der Grenze des guten Geschmacks (wenn man bei einem derartigen Film von solch einer Grenze sprechen kann). Auch Farben und Schnitt können sich wirklich sehen lassen, ebenso wie die trockenen, analytischen Darstellungen der Schauspieler. Carla Juri trägt als Helen den Film quasi im Alleingang und macht alles mit, was das haarsträubende Drehbuch eben so von ihr verlangt. Alle weiteren Rollen wurden passend besetzt und werden gut bis sehr gut gespielt, was man von City of Bones nicht gerade behaupten kann. Lilly Collins spielt ihre Hauptfigur solide, ebenso verhält es sich mit allen anderen Darstellern. Besonders Jamie Campbell Bower, der die Aufgabe des neuen Teenie-Schwarms übernimmt, tut sich gelegentlich schwer mit der Rolle des sexy Dämonenjägers. In einigen Szenen steht er einfach nur ausdruckslos herum, man möchte ihn schütterln und aufwecken. Auch Jonathan Rhys Meyers kann als Oberbösewicht nicht überzeugen, das mag allerdings auch an seiner äußerst flach angelegten Figur liegen. Wirkliche Tiefe besitzt hier aber sowieso niemand. Stattdessen setzt Harald Zwart auf die Wirkung seiner visuellen Effekte, die durchaus auf dem Stand der Zeit sind, das Rad jedoch nicht neu erfinden. Tatsächlich schafft die Kombination aus aufwendiger Ausstattung und soliden CGI-Effekten zumindest optisch eine homogene, interessante Welt, in die man gern abtauchen würde, wenn sich in ihr nur eine besser erzählte Geschichte abspielen würde.

Beide Filme überraschen allerdings mit einigen kleinen Details, die das Kino für die nächsten Jahre – hoffentlich prägen dürften. In Feuchtgebiete wäre das der nackte Mann. Die Tendenz, hundertprozentig nackte Frauen in Filmen und Serien zu zeigen, besteht ja bereits seit einigen Jahren. Aber einen Penis? In einem gewöhnlichen Kino? Niemals! David F. Wnendt dagegen scheut sich nicht davor, Szenen mit sexuellem Inhalt natürlich und unverkrampft darzustellen. Da behält die Frau nicht ihren BH an, damit man ihre Brüste nicht sehen kann und da kreist die Kamera auch nicht verschämt um einen Mann, damit man sein bestes Stück nicht zu sehen bekommt. In City of Bones hingegen ist es – fast schon traurig, dass es so lange dauerte, bis die Thematik im Mainstream-Kino ankam – die Homosexualität. Und zwar als etwas ganz Normales, zumindest für die meisten der Figuren. Die Dramatik ergibt sich stattdessen aus dem schwierigen Verhältnis der homosexuellen Figur zu ihrer Sexualität selbst. Das wirkt zwar im Endergebnis übertrieben und ein wenig seifenopernhaft, aber die Selbstverständlichkeit, mit der City of Bones das Thema aufgreift ist für eine amerikanische Big-Budget-Produktion doch recht lobenswert.

Die große Schwäche beider Filme liegt in ihren Drehbüchern. Während City of Bones klassische Hollywood-Fehler aufweist (unrealistische Dialoge, haarsträubende Wendungen, zu viel Inhalt bei zu wenig Zeit, flache Figuren) ist Feuchtgebiete einfach nur viel zu lang. Da das Buch bereits keine wirkliche Handlung aufweisen konnte, kann es der Film erst recht nicht. Über zwei Stunden quält man sich also durch eine mehr oder minder unterhaltsame Aneinanderreihung von Ekel-Sequenzen. Dabei wirken viele von denen auch noch viel zu unwahrscheinlich, um der Geschichte zumindest die Möglichkeit einzuräumen, realistisch zu sein. Durch seine Konzentration auf – buchstäblich – Zwischenmenschliches ist ein gewisser Realismus allerdings unabdingbar, um den Zuschauer für Helen Memel gefangen zu nehmen.

Fazit: Keinen der Filme muss man gesehen haben. Wirklich nicht.

In diesem Sinne,
J.

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