Der Leuchtturm

Originaltitel: The Lighthouse
Regie: Robert Eggers
Drehbuch: Robert Eggers, Max Eggers
Score: Mark Korven
Darstellende: Willem Defoe, Robert Pattinson, Valeriia Karaman


Wertung: 81 %

- Beklemmender Fiebertraum ohne den doppelten Boden, den er gerne hätte - 


Tom Wake und Ephraim Winslow werden als Leuchtturmwärter und Gehilfe auf einen sturmumtosten Felsen gebracht, um dort das Leuchtfeuer zu hüten. Während der alte und kauzige Wake das Licht für sich allein beansprucht, muss der junge Winslow die Drecksarbeit verrichten. Beide kämpfen vergeblich gegen die Einsamkeit und den Wahnsinn, der langsam von ihnen Besitz ergreift.

Tja, was also anfangen mit diesem visuell berauschenden, wunderschön fotografierten neuen Machwerk von Eggers? Das fast quadratische, historische Format? Klaustrophobisch. Der Ton? Nervenaufreibend. Die Darsteller? Grandios. Trotzdem reicht Der Leuchtturm bei Weitem nicht an die Brillanz und Hintergründigkeit von Eggers’ Erstlingswerk, The Witch, heran. Auch diesmal beschwört Eggers den Schrecken der Vergangenheit, allerdings kurz vor der Jahrhundertwende. Auch diesmal nimmt er sich eines jungen Unterdrückten an, nämlich des Herumtreibers Winslow, der auf seiner Suche nach Arbeit dazu verdammt ist, unter älteren Männern zu kriechen und zu dienen. Einzig die Aussicht auf persönliche Freiheit lässt ihn Tag ein, Tag aus die Erniedrigungen (und Blähungen) seines Herrn ertragen. Dabei nagen formschön inszenierte Schuldgefühle an ihm, die jedoch bei näherer Betrachtung keinen sonderlich spektakulären Ursprung haben. In The Witch war die wahnhafte Religiosität ihrer Familie der Grund für Thomasins Knechtschaft. Folgerichtig erlangte sie auch nicht durch die Lösung, sondern Umkehrung und Pervertierung selbiger ihre Unabhängigkeit. In Der Leuchtturm bleibt den beiden Männern nur der Aberglaube, der ihnen ebenso Halt gibt wie er sie irren und straucheln lässt. Denn während der von Willem Defoe hervorragend gespielte ältere Wake längst seinen Frieden mit sich und seinem Seemannsgarn gemacht hat, hadert der junge Winslow immer wieder und verliert sich dadurch schnell aus den Augen.

Kontrolle, Macht und Männlichkeit sind die großen Themen des Films, der folgerichtig in einem riesigen Stein-Penis spielt. Winslow und Wake könnten sich zusammentun, könnten von den unbändigen Stürmen und der Willkür der See zusammengeschweißt werden. Doch Hierarchie-Denken und die Unfähigkeit zu echten zwischenmenschlichen Beziehungen hindern sie stets daran, sodass ein gewaltsamer Ausgang unvermeidlich wird. Einzig der Alkohol entlockt ihnen kleine Gesten der Zärtlichkeit und der Fürsorge, die jedoch sofort pervertiert oder abgewehrt werden. Denn in dem Weltbild der beiden Männer kann es keine echte Freundschaft geben, nur Kampf oder Unterordnung. Eggers buchstabiert diese Erkenntnis bis zum Ende aus, verleiht ihr allegorische, wenn auch naheliegende Wucht und lässt alles über die Zuschauenden hinwegrollen wie die mächtigen Wogen des Meeres, die die kleine Insel zu verschlingen drohen. Dabei gibt er eindeutig Winslows Vorstellungskraft den Vorzug und lässt uns an jeder noch so kleinen Illusion des jungen Mannes teilhaben. Dadurch tappt er allerdings in eine folgenschwere Falle. Es mag erfrischen und nur realistisch sein, dass der junge Winslow weder sonderlich intelligent noch tiefgründig ist. Dadurch entgeht Eggers jeder schnulzigen Romantisierung maritimer Klischees. Hinter Winslows Schweigen verbirgt sich kein tiefschürfendes Geheimnis und sein Verhältnis zur See ist nicht verklärend, wohl aber fetischisiert. Ihn zum Zentrum des Films zu machen bedeutet aber auch, über seine Gedankenwelt, seine Bedürfnisse und Ziele nicht hinauszugelangen. Und dadurch verliert der Film an Tiefe, Komplexität und letztlich Bedeutung.

Klar, man kann Eggers’ Werk rätselhaft finden und nach den tieferen Schichten unter diesem feuchten Seemannstraum suchen. Es gibt allerdings keine, denn dazu fehlen die entsprechenden Figuren oder Handlungsstränge. Wake ist ein kauziger alter Möchtegern-Seebär, der sich die Welt so zurechtgelegt hat, dass er sie ertragen kann. Winslow hingegen scheitert daran, seine Welt nicht so gestalten zu dürfen, dass sie ihm erträglich wird. Folgerichtig geht er an ihr zugrunde. Ende der Geschichte.

Es überrascht daher nicht, dass die einzige Form von Weiblichkeit Winslows Halluzinationen beziehungsweise Sex-Fantasien von einer Meerjungfrau sind. In dem stinkenden, feindseligen Sturm rivalisierender Männlichkeit gerät jedes erotische Empfinden entweder zur Gefahr oder zur Erniedrigung. Defoe und Pattinson verlieren sich mit sichtlicher Leidenschaft in ihren Rollen, was dem Film eine enorme Qualität verleiht. Eingefangen von der hyper-stylischen Schwarz-Weiß-Kamera Jarin Blaschkes ergeben sich hier durchweg faszinierende Schauwerte. Kurz: Der Film ist durchaus sehenswert im wortwörtlichen Sinne. Ähnlich hypnotisch gestalteten schon Kamerafrau Natasha Braier und Regisseur Nicolas Winding Refn in The Neon Demon das Sehen als den Hauptsinn des Kinos. Allerdings umgingen sie in ihrer Symbolik allzu geradlinige Eindeutigkeiten, weshalb The Neon Demon zu unrecht als oberflächliche Inszenierung verurteilt wurde (Mal davon abgesehen, dass diese scheinbare Oberflächlichkeit perfekt zum Modewelt-Setting des Films passte). Eggers hingegen scheut diese Eindeutigkeit diesmal nicht. Es gelingt ihm dadurch zwar, die Grenzen und Gefahren allzu erzwungener Rationalität und Männlichkeit aufzuzeigen – mehr jedoch nicht.

Fazit: Der Leuchtturm ist ein wahnwitziges Kammerspiel und der reinste Bilderrausch, an dem sich vor allem FreundInnen erlesener Kameraarbeit und Bildkomposition laben dürfen. Für ein echtes Meisterwerk geraten Thema und Auflösung des Films jedoch allzu plakativ. 

In diesem Sinne, 

eure J.

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